
Im Oktober 2025 führte Peter Herzer anläßlich ihres Gewinns im internen Schreibwettbewerbs Lyrik ein Interview. In den acht Fragen und Antworten werden aktuelle literarische Themen und persönliche Lebensmotive beleuchtet.
Eine deiner Passionen ist es, täglich einen Haiga (Haiku & Bild) in Social Media zu veröffentlichen, früher waren es Sonette oder auch Tankas. Was steckt dahinter: Fertigkeiten üben? Hast Du das innere Bedürfnis, die Menschen zu berühren, mitzunehmen, auch aufzuwecken?
Zunächst einmal ein herzliches Dankeschön für die Einladung zum Interview und für deine engagierte Arbeit!
In früheren Jahren habe ich in den Sozialen Medien unregelmäßig Gedichte veröffentlicht. Damals lag in erster Linie mein Interesse am Austausch mit anderen Schreibenden. Auf diese Weise habe ich viel gelernt und auch einige Dichterinnen persönlich kennengelernt, was eine große Bereicherung für mich war. Seit Februar 2025 poste ich täglich ein Haiga. Die Fotos hierfür habe ich bis auf wenige Ausnahmen selbst aufgenommen. In erster Linie hatte ich den Impuls, den gesellschaftspolitischen Verwerfungen nach der diesjährigen Bundestagswahl mit einem kreativen Output entgegenzuwirken. Das Wahlergebnis sowie die populistischen Äußerungen der Spitzenpolitiker der Union in den Wochen nach und teilweise bereits vor der Wahl hinsichtlich der Pauschalisierung der Migration, der generellen Verunglimpfung von Bürgergeld-Empfängern, der vehementen Vermeidung der Vermögensbesteuerung von Hyperreichen sowie die Vollbremsung bei der Erreichung der Klimaziele belasten mich erheblich. Die Schaffung von Haiga wirken beruhigend. Ich möchte den Blick auf die kleinen Ereignisse, aber auch auf die großen menschlichen Themen richten. Neben der Natur thematisiere ich Gefühle wie Melancholie, Vergänglichkeit, Verlust und Tod, aber auch Lächeln, Freundschaft, Kinder und Verbundenheit. Ich denke, es sind diejenigen Bereiche, die den Menschen leiten und trösten angesichts der nationalen und globalen Krisen.
Du warst mehr als acht Jahre 1. Vorsitzende des Lit. Vereins und offensichtlich sukzessive an die Grenzen deiner Belastungsfähigkeit gelangt. Seit Februar 2025 bist Du nach einer von dir initiierten Satzungsänderung Teil eines fünfköpfigen Teamvorstands und trittst auch anderswo kürzer. Was machst Du mit der gewonnenen Zeit?
Ich kann mich etwas mehr um meinen kleinen Garten kümmern, backe Brot und stelle vegane Brotaufstriche selbst her. Darüber hinaus möchte ich politisch etwas bewirken, indem ich als Mitglied der GRÜNEN in meinem Stadtdorf im Ortsbeirat tätig bin und zugleich die Geschehnisse in der Stadt verfolge. Außerdem kann ich mich wieder mehr mit meinen derzeitigen Schreibprojekten beschäftigen, lange vernachlässigte Kontakte ein wenig aufleben lassen sowie Mutter und Schwiegervater etwas häufiger besuchen.
Der LVP hat die Schirmherrschaft über den Pälzer Prosapreis Bockenheim übernommen. Passend dazu wurde im März die „Pfälzische Mundartstiftung“ ins Leben gerufen, wohlgemerkt mit privaten Mitteln! Im Kontext fand der Mundartwettbewerb Dannstadter Höhe wegen zu hohen Organisationsaufwands im Verhältnis zu den Fördermitteln zwei Jahre lang nicht statt. Wie siehst Du die Zukunft der pfälzischen Mundartdichterwettbewerbe?
Mundartwettbewerbe werden sicher die Nische innerhalb der Nischenkunst Literatur bleiben. Man kann jedoch dem Bedeutungsverlust der Mundart beispielsweise durch neue, humorvolle und lebensnahe Texte entgegenwirken. Sehr gute Mundartdichter/innen haben wir erfreulicherweise in unseren Reihen. Für Mundartwettbewerbe gilt sicher das selbe wie für die Forcierung anderweitiger Lesungen: Außergewöhnliche, aber gut erreichbare Orte, ein verblüffendes Rahmenprogramm und lukullische Spezialitäten. Darüber hinaus sollte es einen nationalen Mundarttext-Verband geben. Wenn nationale Mundartwettbewerbe (mit Untertiteln) stattfänden, die eine größere Aufmerksamkeit bekämen, wäre es sicher ein weiterer Schritt, die Mundart attraktiv zu halten. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Mundart ein Stück weit am System der Poetry Slams orientieren könnte, mit regionalen und überregionalen Meisterschaften. Edith Brünnler aus Ludwigshafen verkörpert in ihren Auftritten beide Aspekte, indem sie mit Mundart-Texten auf Poetry Slams auftritt. Die professionelle Begleitung unserer Mundart steht in der Pfalz jedenfalls auf guten Grundlagen. Allerdings sollten sich literaturwissenschaftliche Universitätslehrstühle stärker mit der Mundart beschäftigen.
In den letzten Jahren hast Du zwei Romanmanuskripte fertiggestellt. Das erste handelt in der Steinzeit bezüglich eines potenziellen Massakers in Herxheim, das zweite von Monika Mann, der mittleren Tochter des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann – dafür wurdest Du mit einem Stipendium ausgezeichnet. Wie sind die Aussichten für eine Verlagsveröffentlichung?
Bei meinem Steinzeitprojekt habe ich 2019 vergeblich Verlage gesucht, auch über eine Agentin. Ich würde das Manuskript im kommenden Jahr gerne professionell lektorieren lassen, es entsprechend der Vorschläge ändern und mich noch einmal bemühen, an Verlage heranzutreten oder es selbst herausbringen. Es wäre mir wichtig, dass es irgendwann als Roman veröffentlicht wird, weil hinter meiner intensiv recherchierten Erzählung Thesen stecken, die ich Zeit meines erwachsenen Lebens verfolge und die mir nach mehr als vierzig Jahren noch immer richtig erscheinen. Es handelt sich bei meinem Roman „Die Weissagung“ um ein Beispiel über die Art und Weise, wie Matriarchate funktionierten und wie sie aufgegeben wurden. Nachlesen kann man die Entwicklungsgeschichte der Geschlechterverhältnisse beispielsweise in „Das Patriarchat“ von Ernest Borneman.
Bei Monika Mann hoffe ich sehr, einen Verlag zu finden. Ich warte erst das Lektorat ab, bevor ich Verlage anschreiben werde. Eine Prognose wage ich in dieser Hinsicht nicht.
Du vertrittst offenbar die Ansicht, dass lokale Autoren und Autorinnen bei größeren Ausschreibungen wie z. B. dem „Lyrikpreis der Südpfalz“ berücksichtigt werden sollen. Kannst Du es näher erläutern?
Es besteht bei Preisverleihungen ein grundsätzliches Dilemma. Bekannte Autoren bzw. Künstler haben viel eher die Chance, einen weiteren Preis zu bekommen. Man spricht vom Matthäus-Effekt, „Wer hat, dem wird gegeben“. Dadurch vergrößert sich jedoch die Ungerechtigkeit unter den Schreibenden. Nicht nur aufgrund der Vermutung, dass mehrfache Preisträger/innen offensichtlich geeignet für weitere Preise sein müssen, sondern auch aufgrund des Bestrebens der preisstiftenden Institution, sich mit einem bekannten Namen zu schmücken, findet dieses Prinzip aller Orten statt. Anonymisierte Auswahlverfahren gibt es für renommierte Preise kaum, nicht zuletzt auch deshalb, weil ein/e unbekannte/r Preisträger/in, die oder der ein literarisches oder geisteswissenschaftliches Studium vermissen lässt, eher wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden könnte. Der Name wiegt manchmal schwerer als der Inhalt, auch hinsichtlich der Preisveranstaltung. So hieß es bei einer Jury: „Mit der berühmten Persönlichkeit XY bekommen wir den Saal voll.“ Preisverleihungen müssten noch interessanter gestaltet werden. Die Vorgehensweisen hinsichtlich einer Preisverleihung hängen jedoch immer von der preisstiftenden Institution ab.
Was bedeutet für Dich gesund leben – persönlich, aber auch im Kontext der (lokalen) Umwelt-/Gesundheitspolitik?
Ich lebe seit meinem Studium vor über vierzig Jahren äußerst sparsam. Meinen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten, ist eine meiner Lebensmaximen. Das Wort Verzicht, wenn er freiwillig gelebt wird, hat für mich einen positiven Anklang. Und ja, ich empfinde es als gesund. Im Winter hat mein Arbeitszimmer frische 17 Grad Celsius und ich genieße die Abwärme des Laptops. Wer wenig benötigt, macht sich weniger von äußeren Umständen abhängig. Damit möchte ich auch ein wenig der traditionellen japanischen Lebensweise nacheifern. Ich verzichte weitestgehend auf Genussmittel, weil sie als Luxusgüter nicht nur nicht notwendig sind, sondern auch mit Suchtpotentialen und teilweise mit unmenschlichen und umweltschädlichen Arbeitsplätzen einhergehen. Ich lebe, bis auf gelegentliche „Käsesünden“, aus ökologischen und tierethischen Gründen vegan. Beim Einkauf achte ich auf biologischen Anbau, Regionalität und Verpackungsfreiheit. Natürlich koche ich täglich selbst.
An politischen, auch ökologischen Debatten beteilige ich mich in den Sozialen Medien an den Veröffentlichungen großer Zeitungen und gesellschaftskritischer Vereine wie Campact, Monitor, Deutsche Umwelthilfe oder der Albert-Schweizer-Stiftung. In der Stadt Landau sind Demonstrationen für mehr Menschlichkeit und besseren Klimaschutz ein Muss, wenn es zeitlich klappt. Die RHEINPFALZ beliefere ich etwa vierzehntägig mit Leserbriefen. Nicht wenige Landauer kennen mich in erster Linie als Leserbriefschreiberin.
Von Ernst Bloch stammt das Zitat: „Die Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. Hoffen, über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt”. Gibt es für Dich ein klares Bewusstsein für eine Scheidungslinie zwischen Hoffnung und Illusion hinsichtlich Literaturprojekten und deren Förderung?
Zunächst gilt es, zu klären, was unter Illusion zu verstehen ist. Im engeren Sinne zählt man darunter Sinnestäuschungen, falsche Wahrnehmungen, irreale Versprechungen oder unerreichbare Hoffnungen. Das heißt, das Urteil über die Falschheit der Wahrnehmung ist gesellschaftlich diskutiert oder wissenschaftlich erwiesen. Da jedoch sowohl „Literaturprojekte“ als auch „Förderung“ wenig konkrete Begriffe sind, können sie nicht unter die Rubrik „Illusion“ im Sinne einer falschen Wahrnehmung subsumiert werden.
Im weiteren Sinn kann „Illusion“ als Imagination, Einbildung, Hirngespinst oder Wunschtraum verstanden werden. Hier urteilt nicht eine Allgemeinheit über die Falschheit einer Sache, sondern die unmittelbare Person selbst, da die individuelle Erstellung einer Illusion zugrunde liegt. Hier wird die Illusion außerdem nicht eindeutig als falsch, sondern als möglich eingeschätzt.
Ohne eine solcherart gemeinte Illusion kann es eigentlich keine Hoffnung geben. Denn die Illusion ist auf ein fernes konkretes Ziel gerichtet von dem man nicht weiß, ob es wunschgemäß eintreten wird. Die Hoffnung ist der Weg dorthin. Wer jedoch die Wegstrecke nur meistern möchte, wenn er sicher ist, dass sich die Hoffnung erfüllen wird, wird eher zu Zweifeln neigen, als diejenige, die die Illusion stets im Blick behält, wohl wissend, dass sie sich möglicherweise nicht erfüllen wird. So haben auch Wissenschaftler/innen manchmal ein Leben lang auf ein bestimmtes, manchmal verrücktes Ziel hingearbeitet, und gelegentlich haben sie es erreicht – bevor ein anderer es womöglich vermarktet hat. Die Hoffnung ist in meinen Augen die Motivation, die Antriebskraft, der Glaube an eine kleine Auswirkung, das Bewusstsein um die Selbstwirksamkeit und die Kraft für die Veränderung. Zumindest verbindet sich mit der Hoffnung die Vermutung, dass ohne das eigene positive Zutun die Welt sich zum Schlechteren entwickeln wird. In diesem Sinne können wir als Schreibende sehr wohl hoffnungsvoll an der Illusion arbeiten, dass Projekte und Förderungen erhalten bleiben, wenn wir selbst unseren Beitrag dazu leisten, der darin besteht, die literarische Qualität unserer Texte kontinuierlich zu verbessern, in der Hoffnung, dass deren Ergebnisse eines Tages als förderungswürdig angesehen werden. Insofern sehe ich die Trennungslinie zwischen Hoffnung und Illusion darin, letztere zu entwickeln und im Hinterkopf zu bewahren, jedoch während des täglichen Handelns wohlbehütet in der Schublade zu wissen, während die Hoffnung auf die kleinen täglichen Schritte gerichtet bleibt. So wird man beispielsweise die Illusion, eines Tages „berühmt“ zu werden, nicht ablegen, doch sollte sie keinesfalls unseren Alltag bestimmen, sondern sich tunlichst im Hintergrund aufhalten, während an den kleinen Hoffnungsschritten gearbeitet wird. Stets an seine Illusion zu denken, macht in meinen Augen unglücklich, weil die alltägliche Schreibarbeit am kaum sich verbessernden Zielerreichungsgrad gemessen wird.
Allgemein, d.h. für alle Literatinnen und Autoren gesprochen, lässt sich nicht vorhersagen, ob und wie künftige Literaturprojekte öffentlich gefördert werden. Die Hoffnung, die sich aus wenig speist, wird sicher nicht untergehen, aber über die Kategorie „Illusion“, die konkrete Ziele benötigt, siegt die Ungewissheit der Zukunft.
Wann zuletzt hast Du herzhaft gelacht?
Mitte Oktober radelte ich samstags mittags auf dem Radweg von Landau nach Godramstein, vor mir die Unterführung unter der B10, unweit der Dauerbaustelle. Ich sah einen etwa vierzig Jahre alten Mann in einem knielangen grauen Mantel, der von seinem Fahrrad abgestiegen war und eine Sprühflasche auspackte. Er plante Offensichtliches und wollte anscheinend seine Ansicht (im doppelten Sinn) ganz oben an der Betonwand aufsprühen. An dieser Stelle war vor einiger Zeit ein buntes Graffiti-Durcheinander von Schriften und Zeichnungen grau überstrichen worden. Diesen noch leeren Bereich schien er anzustreben. Ich wunderte mich schon darüber, dass er bei Tageslicht zugange war. Da er auf dem Fahrrad keine Leiter transportiert hatte, wollte er sich eines der weißen Baustellen-Absperrungselemente aus Plastik bedienen und lehnte das Teil vertikal an die Betonwand, um darauf hochzusteigen. Allerdings knickte das Absperrschrankengitter ein, als er sich in der Mitte seines Hilfsmittels befand. In dem Moment fuhr ich an ihm vorbei. Herzhaft gelacht habe ich über den doppelten und dreifachen Fauxpas aber erst, als ich abends die Szene meinem Mann erzählte. Der Sprayer schrieb übrigens „Kein Bock auf Nazis!“.
