Nicht­Ganz­Dich­ter im Gespräch mit Edith Brünn­ler und Bir­git Heid

Am 13. Sept. 24 lud die Stadt­teil­bi­blio­thek zu einer Lesung ein, die ers­te seit Coro­na, wie die Biblio­the­ka­rin Petra Schmitt-Böhn­ke beton­te. Vor­ge­stellt wur­de die im März erschie­ne­ne Antho­lo­gie „Die Son­ne an Land” der Autoren­grup­pe Lit­Off aus Hei­del­berg. Eini­ge Mit­glie­der waren zuge­gen, wei­te­re wur­den, weil im Buch ver­tre­ten, hin­zu­ge­la­den. Die Lit­Off fei­ert in die­sem Jahr ihr 35-igs­tes Bestehen. Par­al­lel zur glei­chen Zeit fand eine Lesung in Wein­heim statt.
Die Mann­hei­mer Autorin Anet­te Butz­mann mode­rier­te und führ­te aus, war­um man die­sen lite­ra­ri­schen Schatz in die Hän­de der Leser legt. Unter den Gäs­ten befan­den sich die Male­rin Iris Maria von Baum­bach und ihr Mann, eben­falls ein Autor.

Die Dich­te­rin Edith Brünn­ler, die eine Rekord­zahl an (Mundart-)Lesungen in der Regi­on vor­wei­sen kann, trug ihre schwarz­hu­mo­ri­ge Sati­re „Herr Hus­sen­kamp hat ange­ord­net” vor. Dar­in schil­dert sie sozia­le Ver­wer­fun­gen in einem Indus­trie­be­trieb. Die Macht­struk­tur von oben nach unten ist äußerst frag­wür­dig. Die Geschich­te endet mit einem über­ra­schen­den Tod.

Bir­git Heid brach­te aus Land­au ein Frag­ment aus ihrem geplan­ten Roman über Moni­ka Mann mit, die unge­lieb­te Toch­ter des Nobel­preis­trä­gers Tho­mas Mann. Sie war still, schüch­tern, lang­sam in Ent­schei­dun­gen und woll­te ganz im Gegen­satz zu ihren extro­ver­tier­ten, schil­lern­den Geschwis­tern eine tra­di­tio­nel­le Rol­le als Frau spie­len. Die Prot­ago­nis­tin muss­te wie ihre Fami­lie wegen den Nazis ins Exil und ver­lor bei einem U‑Boot-Angriff auf ihr ret­ten­des Schiff im Atlan­tik ihren gelieb­ten Ehe­mann, was sie trau­ma­ti­sier­te. Nach dem Krieg ver­brach­te sie 30 Jah­re ihres Lebens mit dem Fischer Tonio in Capri. Die Autorin schil­dert die im Jahr 1972 spie­len­de Hand­lung plas­tisch, detail­liert-far­big mit roman­ti­schen Ele­men­ten, z. B. exo­ti­schen Fels­for­ma­tio­nen, Grot­ten und Son­nen­un­ter­gän­gen, was schon damals vie­le Tou­ris­ten anzog. Inter­es­sant fin­de ich die Pas­sa­ge im Text mit dem Rück­blick auf die Flo­ren­zer Zeit vor dem Krieg. Moni­ka Mann grün­det einen Salon. Hil­de Domin und Erwin Palm besu­chen sie, da lohnt sich ein Sei­ten­blick in die Bio­gra­fie von Mari­on Tausch­witz. Bir­git Heid, 1. Vor­sit­zen­de des Lite­ra­ri­schen Ver­eins der Pfalz, erhielt 2022 für die­ses Pro­jekt ein Lan­des­sti­pen­di­um.

Man­fred Dechert, bekann­ter viel­be­preis­ter Mund­art­dich­ter aus Frie­sen­heim, kann auch bes­tens Hoch­deutsch, beach­tens­wert sein Text über die Kolon­nen, genau­er gesagt, die Zeit­schrif­ten­drü­cker­ko­lon­nen mit ihren erbärm­li­chen Umstän­den, dann fol­gend die Ver­wand­lung in Gefängnis‑, Armee- und Fließ­band­ko­lon­nen. Kaf­ka lässt schön grü­ßen! Dechert per­form­te im Anschluss her­vor­ra­gend das Pan­ther­ge­dicht von Rai­ner Maria Ril­ke.

Rena­te Herr­ling aus Spey­er zitier­te anfangs Ernst Bloch: „Man ach­te gera­de auf die klei­nen Din­ge, gehe ihnen nach. Was leicht und selt­sam ist, führt oft am wei­tes­ten”. Die Autorin las aus ihrer amü­san­ten Geschich­te über Oran­gen­ein­wi­ckel­pa­pier. Als Samm­ler­ob­jekt mit der Orna­men­tik durch­aus lieb zu gewin­nen. Am Ende ihres Tex­tes räso­niert sie, „fin­det die Art und Wei­se, wie die­se das Leben ver­lang­sa­men und selt­sa­me Gedan­ken in Gang set­zen … ziem­lich bemer­kens­wert”.

Den Schluss­punkt setz­te mit viel Ver­ve der unter dem Künst­ler­na­men auf­tre­ten­de Nicht­ganz­dich­ter aus LU-Oggers­heim, bekannt für 2x „K”, wie spa­ßig ange­merkt wur­de: Kohl und Kat­zen­ber­ger. Sei­ne zwei­te Hei­mat ist aber Köln. Der Dich­ter, Jour­na­list und Preis­trä­ger bei vie­len Poe­tyS­lam-Wett­be­wer­ben, erzähl­te selbst­iro­nisch von Ticks, die sich ver­ständ­li­cher­wei­se ent­fal­ten kön­nen, wenn man eben nicht ganz dicht ist. Per­fekt und nor­mal, dage­gen hat er offen­bar eine Abnei­gung, jeder soll mal einen Tick haben… Mit sei­ner hoch­be­tag­ten Groß­mutter hat­te er vie­le Auf­trit­te, lau­nig-urko­misch ihre Sprü­che im Beer­di­gungs­in­sti­tut wie „Sarg mal was”, auch war ihr der Preis über 2000€ für den Sarg zu hef­tig, sie wol­le lie­ber noch etwas län­ger leben…

Die im guten Dut­zend erschie­ne­nen Gäs­te der Biblio­thek applau­dier­ten begeis­tert.

Buch: Die Son­ne an Land, Erzäh­lun­gen und Lyrik, Hrsg. Die Lite­ra­tur-Offen­si­ve. Lothar Seid­ler Ver­lag, Hei­del­berg 2024, ISBN 978–3‑931382–72‑8, 268 Sei­ten. 22,80€.

Quel­le: https://www.wochenblatt-reporter.de/ludwigshafen/c‑ausgehen-geniessen/literarische-schaetze_a588158