Klei­nes Autor­en­se­mi­nar am 22.1.24 in Kai­sers­lau­tern.
 
Bir­git Heid konn­te im Restau­rant „Da Adria­na“ neun Teilnehmer*innen
begrü­ßen. Von den sechs ein­ge­reich­ten Tex­ten wur­den vier aus­ge­wählt, die
ein­ge­hend bespro­chen wur­den.
Die Idee für die­ses klei­ne Semi­nar grün­de­te als Reak­ti­on auf eine Lesung
der Lau­ter Autor*innen im Som­mer in Kai­sers­lau­tern mit durch­wach­se­ner
Rhein­pfalz-Kri­tik, die für Dis­kus­sio­nen sorg­te. Die Grup­pe beschloss, einen
Schwer­punkt in Text­ana­ly­se zu set­zen.
Ein im Früh­herbst ange­dach­ter Ter­min muss­te lei­der abge­sagt wer­den.
Im Novem­ber fand dann das (gro­ße) Autor­en­se­mi­nar in Lam­brecht statt.
Das Feed­back fiel sehr posi­tiv aus.
Im Dezem­ber wur­de ein Work­shop anbe­raumt. Auf­grund von Zeit­knapp­heit gab
der Sek­ti­ons­lei­ter eine Haus­auf­ga­be. Er ent­nahm der Antho­lo­gie
„Kind­heits­träu­me“ einen Anfangs- und einen Schluss­satz, zudem wur­den ein
Hand­spie­gel und ein gemal­tes Bild mit Son­nen­auf­gang vor­ge­zeigt. Die­se vier
Kom­po­nen­ten soll­ten in eine Geschich­te ein­ge­ar­bei­tet wer­den. Was beson­ders
war: Meh­re­re Autor*innen stell­ten die­se im Semi­nar vor.


Als Ers­tes las Ursu­la Dör­ler aus Stel­zen­berg ihre Geschich­te „Gam­al“ vor:

Die Stu­den­tin Ellen liebt den Arzt Gam­al, wel­cher Gedich­te schreibt. Sie
erwar­tet ein Kind von ihm. Ihr Vater ist Rechts­an­walt und gewohnt, sei­nen
Wil­len als Fami­li­en­pa­tri­arch durch­zu­set­zen. In den Nach­rich­ten erfährt er,
dass zwei Brü­der von Gam­al in einen Anschlag aus dem West­jor­dan­land
ver­wi­ckelt sind. Er unter­sagt die Bezie­hung zu Gam­al. Die Mut­ter schweigt
über­wie­gend. Ellen ängs­ti­gen die Ereig­nis­se und fragt sich, ob noch
Hoff­nung besteht. Die kurz bevor­ste­hen­de Hoch­zeit scheint abge­sagt.

Eini­ge Teil­neh­mer ran­gen um die Stim­mig­keit des ers­ten Sat­zes, auch der
letz­te Satz erschien nicht ganz pas­send. Der Text wur­de im posi­ti­ven Sinn teils als
ver­stö­rend wahr­ge­nom­men. Bir­git Heid wies auf die Wider­sprüch­lich­keit
zwi­schen der inni­gen Ver­liebt­heit und den Zwei­feln Ellens hin. Das
kon­ser­va­ti­ve Umfeld wirkt wie ein Alb­druck auf sie. Hat Ellen über­haupt was
zu sagen? Ein Kom­men­ta­tor mein­te, es soll­ten mehr Aus­ru­fe­zei­chen gesetzt
wer­den, die „Schreie“ der Prot­ago­nis­tin emp­fand er als zu still. Jemand
ande­res sag­te, dass die Span­nung passt. Ein ande­rer frag­te sich, in wel­chem
Land die Geschich­te spielt. Ins­ge­samt sei der Text aber gelun­gen.


Peter Her­zer
aus Kai­sers­lau­tern brach­te sein Gedicht „Never again“ mit:

In sei­nem metri­schen Gedicht mit 5 Stro­phen erzählt er von einer Mut­ter mit
drei Kin­dern, die in gro­ßer Armut leben und am Ende des Monats ohne Geld
daste­hen. Unter eige­nen Ver­zicht kann sie ein Spa­ghet­ti-Essen für die
Kin­der berei­ten, sieht sich dann aber den­noch gezwun­gen, beim unge­lieb­ten
Nach­barn um Hil­fe bit­ten, was sie letzt­lich als Demü­ti­gung emp­fin­det. Sie
schwört, dass es nie wie­der vor­kom­men soll.

Die Milieu­stu­die wur­de von eini­gen Teil­neh­men­den gelobt. Rena­te Demuth zog
einen Ver­gleich zu Chris­ti­an Barons „Ein Mann sei­ner Klas­se“. In einer
Stro­phe presst die Mut­ter ihre Hän­de auf den Bauch, was viel­fach als
schwan­ger gedeu­tet wur­de. Her­zer mein­te, die Ges­te sei pri­mär wegen des
Hun­gers gedacht. Inso­fern inter­pre­ta­ti­ons­re­le­vant.
Irri­tie­rend wur­de die Sze­ne im so bezeich­ne­ten „schwarz­be­seel­ten“ Gang emp­fun­den.
Eine Umschrei­bung des Begriffs wur­de genannt und emp­foh­len. Bir­git Heid
äußer­te sich, man kön­ne nicht sagen, dass der Nach­bar „süf­fi­sant aus­hilft“.
Knut Busch stör­te sich am eng­li­schen Titel, ande­re waren da gegen­sätz­li­cher Mei­nung.


Von Man­fred Dechert aus Lud­wigs­ha­fen kam der Bei­trag „Das Ver­hör“:

In sei­ner Kurz­pro­sa wird der Prot­ago­nist Bert­ram einem Ver­hör unter­zo­gen.
Ihm wird vor­ge­wor­fen, sich nie­mals gegen Mob­bing, reli­giö­se Indok­tri­na­ti­on
und sons­ti­ge Aggres­sio­nen mit Gewalt gewehrt zu haben. Aus die­sem Grund
droht ihm eine Frei­heits­stra­fe. In den Dia­lo­gen wird Bert­rams Leben
viel­fach reflek­tiert.

Die Geschich­te stellt eine auf die Spit­ze getrie­be­ne Umkeh­rung dar. Das
Böse ist nor­mal, das duld­haft Gute wird bestraft. Ursu­la Dör­ler sah den
Sinn ganz anders, man soll­te viel­fach kon­ju­gie­ren. Bir­git Heid hob die
mora­li­sche Kom­po­nen­te her­vor, die Unter­las­sung – ein krea­ti­ver Text mit
gelun­ge­ner Poin­te am Schluss, es rege sehr zum Nach­den­ken an. Ina
Bar­ten­schla­ger sprach von Auto­ag­gres­si­on, was sich auch gut sze­nisch in
einem Thea­ter­stück dar­stel­len lie­ße. Peter Her­zer emp­fand es dys­to­pisch,
wie z.B. in 1984 oder Fah­ren­heit 451, wo schlicht­weg ein Buch lesen
oder ein Zusam­men­schluss für huma­ne Ideen schon ein schwe­res Ver­bre­chen
ist. Das Böse rich­tet sich gegen das, was wir heu­te als sozi­al-ethi­schen
Stan­dard emp­fin­den.


Gabrie­le Korn
aus Kai­sers­lau­tern las aus ihrer Geschich­te „Die Facet­ten
eines Men­schen schil­lern wie die Far­ben eines Regen­bo­gens“.

Ein im IT-Bereich erfolg­rei­cher Mann ver­sucht auch in der Part­ner­schaft mit
allen Mit­teln sei­nen Wil­len durch­zu­set­zen, offen­bar eben­so mit
häus­li­cher(?) Gewalt. Als sei­ne Frau ihn ver­las­sen will, macht er eine
The­ra­pie und malt ein Bild, wel­ches eine bis­her unbe­kann­te Facet­te sei­nes
Cha­rak­ters offen­bart. Auf einer Fahrt zu sei­ner Lebens­ge­fähr­tin erlei­det er
einen Herz­in­farkt. Es blei­ben zum Schluss Fra­gen offen und Erklä­rungs­nö­te.

Bir­git Heid lob­te die sehr gute Ver­ar­bei­tung des The­mas. An einer Stel­le
kommt das Wort Kli­schee vor, was man bes­ser nicht ver­wen­den soll­te. Der
Herz­in­farkt sei eher kon­se­quent, denn ein zufäl­li­ges Ereig­nis. Die
Belas­tun­gen bei­der Her­zen als The­ma erschei­nen sin­nig. Bir­git Heid wies auf
die vie­len Tem­pi-Wech­sel hin, wie von Gegen­wart zu Prä­ter­itum. Das
Hin­ter­fra­gen einer pola­ri­sie­ren­den Bezie­hung und deren sti­lis­ti­sche
Umset­zung stei­gert das Niveau, so ein Kom­men­tar.


Feed­back:

Jemand äußer­te, das Semi­nar sei lehr­reich gewe­sen. Man­fred Dechert fand die
Atmo­sphä­re ange­nehm und sach­lich. Er ver­wies auf aggres­si­ve Kri­tik in der
Ver­gan­gen­heit, auch auf Ein­zel­ne in der Gegen­wart, die sich eher ver­let­zend
zei­gen. Man­fred Dechert sprach spe­zi­ell Tabu­the­men an, nicht über­all wür­de
er sich trau­en, ent­spre­chen­de Tex­te in bestimm­ten Grup­pen zu lesen.

Ursu­la Dör­ler erkun­dig­te sich nach Kri­te­ri­en, wie man einen Text beur­teilt.
Bir­git Heid zähl­te eini­ge auf: Ist die Ein­lei­tung zu lang oder gar
lang­wei­lig, der Text wider­sprüch­lich oder pas­send, gibt es Wie­der­ho­lun­gen.
Spür­bar sei oft schon in den ers­ten Zei­len, ob hand­werk­lich dar­an
gear­bei­tet wur­de. Sie ach­te außer­dem auf die Struk­tur, Wort­wahl, gene­ri­sche
Wör­ter wie Meta­pher – exis­tiert ein Span­nungs­bo­gen?
Knut Busch schlug vor, sich mal einen Text suk­zes­si­ve vor­zu­knöp­fen, ihn
stück­wei­se aus­ein­an­der­zu­neh­men.

Gabrie­le Korn befand, fast alle Tex­te sei­en ernst und dra­ma­tisch. Man­che
wünsch­ten sich künf­tig eher hei­te­re, lie­be­vol­le und fröh­li­che The­men.