
Ulrich Bunjes, so alt wie die Bundesrepublik, hat während seines Arbeitslebens pausenlos geschrieben – politische Texte, Projektskizzen, Evaluationsberichte, Artikel über europäische Themen, und Reden (vor allem für andere). Erst danach begann er, Prosa zu verfassen. Seine Kurzgeschichten drehen sich in der Regel um die Tücken des Alltags, die Abgründe menschlicher Beziehungen und die Eigenheiten der Kommunikation.
Seine ersten literarischen Schritte machte er in der Schreibwerkstatt der iranisch-britischen Autorin Bahiyyih Nakhjavani (Strasbourg). Nach der Übersiedlung nach Speyer wurde er Mitglied im Literarischen Verein der Pfalz und arbeitet seither in der Autorengruppe „Spira” mit, die er seit 2022 leitet. Er ist Mitglied im Speyerer „Club der lebenden Autoren” sowie im Autorenkollektiv „Alles Literatur!”.
Veröffentlichungen
Die letzten Veröffentlichungen:
- Müllerstraße, Wedding und andere Texte 2017–2021. 2. Aufl. 2022
- Ein Held in der Buttermilch. Stories und Gedichte. Norderstedt: BoD 2022
(ISBN 978 3 756 88648 7, E‑Book 978 3 756 86798 1) - Ein Kessel Pommes. Geschichten. Norderstedt: BoD 2023 (ISBN 978 3 758 31592 3, E‑Book 978 3 758 39025 8)
- Die Frau gegenüber. Storys und Gedichte. Norderstedt: BoD 2024 (ISBN 978 3 7693 0791 7, E‑Book 978 3 7693 8071 2)
Leseprobe
Die Wiederkehr der Botanisiertrommel
Als typisches Stadtkind erinnere ich mich noch gut an das wunderliche kleine Geschenk aus Blech, das zwar im Moment des Auspackens so faszinierend aussah, das mir aber ewig ein Rätsel bleiben sollte: eine Metallbüchse, zwanzig Zentimeter breit, fünfzehn hoch und an der dicksten Stelle zehn Zentimeter tief. Die Seitenflächen waren aus unerfindlichem Grund oval. Außen war alles grün lackiert und mit lieblos aufgemalten Blumen und „botanischen“ Motiven verziert. An dem einfachen, oben mittig angebrachten Metallverschluss konnte man sich leicht die Finger aufreißen. Ein an beiden Seiten angenieteter schmaler Riemen sorgte dafür, dass man die Botanisiertrommel umhängen konnte, um die Hände frei zu haben.
Aber wofür? Der tiefere Sinn des merkwürdigen Geräts wurde mir nie klar. Eine Gebrauchsanleitung gab es nicht, deshalb blieb ewig im Dunkel, was genau in die Trommel gehörte — Gräser? Beeren? Tote Vögel? Nicht einmal für ausgewachsene Pilze reichte der Platz in der Trommel. Nur die kleinsten und anspruchslosesten Blumen hätten vielleicht hineingepasst.
Und welches Spiel hätte ich damit, als Sechs- oder Siebenjähriger spielen sollen? Mit der gut gemeinten Gabe war partout nichts Vernünftiges anzufangen. Lange plagte mich vage ein schlechtes Gewissen, denn ich wusste gar nicht, wofür ich mich eigentlich bedanken musste.
Als ich viele Jahre später die Botanisiertrommel kürzlich im Familienkreis erwähnte, erntete ich nur ungläubiges Staunen.
„Was ist denn Botanisieren?“, meinte sofort meine Tochter mit Skepsis, vielleicht sogar etwas Ekel in der Stimme.
„Hoffentlich nicht Unanständiges“, sagte meine Frau.
„Steht wahrscheinlich nicht mal im Duden“, rief mein ältester Enkel dazwischen, der gerade Abitur gemacht hatte.
„Man müsste mal prüfen, ob sich darauf noch ein Warenzeichen eintragen lässt“, sagte nachdenklich mein Schwiegersohn. Immer der erfolgreiche Jurist.
„Hört sich nach krasser Versündigung an der Umwelt an! Weird, wahrscheinlich einfach so… rausrupfen! Als wenn wir uns das erlauben könnten!“, warf mit Verachtung meine engagierte Enkelin ein.
Meine Schwägerin, die an einer anthroposophischen Schule unterrichtet, pflichtete ihr entrüstet bei: „Schwarze Pädagogik! Wie kann man Kinder nur ermuntern, destruktiv in die Natur einzugreifen?“
Mein jüngster Enkel bekam allerdings leuchtende Augen und fragte: „Hast du die noch? Für mein Drum-Set?“
Ich gab jeden Versuch auf, das merkwürdige Ding näher zu erklären. Manches muss man einfach ruhen lassen. Dann verschwindet es von allein, mitsamt dem schlechten Gewissen.