Literarischer Verein der Pfalz e.V.
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Eva-Constanze Gröger

Von Bay­ern in die Pfalz! Hei­mat zurück­er­obern – so schreibt sie. Immer zwi­schen den Wel­ten, den Län­dern, den Men­schen. Die Lie­be hat sie hier­her gebracht – und der Tod. Sagen wir also, das Leben!

Hier, das ist Spey­er. Spey­er im Süd­wes­ten Deutsch­lands. Hier schreibt sie und immer öfter auch in Frank­reich – auch im Süd­wes­ten, wo die Fami­lie ihres Man­nes lebt. Der Süd­wes­ten ist also land­kar­ten­tech­nisch ihre Hei­mat. Die Unter­schie­de lie­gen auf der Hand. Das ewig deutsch-fran­zö­si­sche Lied. Und doch immer neu inter­pre­tiert.

Land­schaft trifft See­le. Das sind die The­men, die sie beschreibt, wenn sie schreibt. Zwi­schen­mensch­lich und offen. Ob Lyrik oder Pro­sa, das mäan­dern zwi­schen den Sti­len lässt Neu­es ent­ste­hen. Gedich­te expo­nie­ren sich, wach­sen zu Kurz­ge­schich­ten; Figu­ren wer­den erwach­sen und wol­len in Büchern leben. Lieb­lings­plät­ze beschreibt sie in Rei­se­füh­ren, Lieb­lings­men­schen im geplan­ten Roman.  

Lie­be und das ein oder ande­re Ver­bre­chen im Kul­tur­schock unse­rer klei­nen Wel­ten. Und immer ein Schuss „seren­di­pi­ty“! Viel Spaß beim Ken­nen­ler­nen. In ver­schie­de­nen Lesungs­for­ma­ten oder bald auch gedruckt.

Leseprobe

Grenz­erfah­rung

Patrick stellt stolz die schwarz silb­rig glän­zen­de Scha­le auf den klei­nen Stein­tisch im Gar­ten. Das in den Tisch ein­ge­las­se­ne Mosa­ik ist schon teil­wei­se gebro­chen und mit ihm alt gewor­den. Ich kann mich noch gut dar­an erin­nern, wie Maman es damals mit mir leg­te. Stein für Stein wur­de aus­ge­wählt, ange­passt und ein­ge­setzt. Ich war unge­dul­dig, doch sie sag­te, es sei wie im Leben, es dau­ert eben sei­ne Zeit, bis alles passt. Patrick und Maman waren da eine Aus­nah­me – aber das war ja auch nicht das Leben, son­dern die Lie­be und die hält sich bekannt­lich nicht an Regeln.  

Patrick hat die­se Lie­be immer gepflegt und so wischt er auch heu­te lie­be­voll und mit Bedacht die Blät­ter vom brü­chi­gen Mosa­ik, ehe er sich an den Tisch setzt. Er rückt die Scha­le zurecht, zieht den gro­ben Hand­schuh über und das klei­ne Mes­ser aus der Tasche. Sum­mend beginnt er hin­ge­bungs­voll die Tier­chen zu öff­nen. Es scheint ihn nicht zu stö­ren, lang­sam das Leben aus­zu­lö­schen, das sich in ihnen ver­birgt. Viel­mehr gleicht es einer gekonn­ten Zere­mo­nie, wie sei­ne Hand rasch und doch kon­zen­triert das Mes­ser mit dre­hen­den Bewe­gun­gen zwi­schen Deckel und Boden der Aus­ter schiebt. Lang­sam glei­tet die Klin­ge nach vorn zum Mus­kel, ehe er die­sen sau­ber abtrennt. Tot ist sie dann noch immer nicht, was der dar­über geträu­fel­te Zitro­nen­saft kurz vor Ver­zehr jedem Ken­ner ver­rät, ehe die glib­be­ri­ge Sub­stanz noch pul­sie­rend den geöff­ne­ten Mund des Gour­mets pas­siert.  

Patrick rich­tet die geöff­ne­ten Hälf­ten deko­ra­tiv auf einer alten Por­zel­lan­plat­te ver­ziert mit frisch duf­ten­den Zitro­nen­vier­teln an. Dane­ben stellt er die Cham­pa­gner­scha­len und ein Körb­chen mit Baguette. In den Glä­sern bricht sich das Licht des Nach­mit­tags und lässt ahnen, dass es ein beson­de­rer Abend wer­den wird. Ich freue mich über das Brot – mei­ne Ret­tung.  

Die Vor­stel­lung leben­de Tie­re zu schlür­fen, die erst in Kon­takt mit Magen­säu­re ihr Zeit­li­ches seg­nen, war und ist mir bis heu­te ein Graus. Die Tat­sa­che, dass Aus­tern kein Gehirn haben, bie­tet mir dabei nur mil­den Trost. Einen Trost, der zumin­dest dabei hilft, Patricks Hin­ga­be nicht mit unhöf­li­chen Kom­men­ta­ren zu stra­fen.

Zu sei­nem gro­ßen Miss­fal­len hat­te ich die­sen typisch fran­zö­si­schen Deli­ka­tes­sen nie etwas abge­win­nen kön­nen. Da hat wohl mei­ne deut­sche Hälf­te gewon­nen. Um Schne­cken in Knob­lauch­so­ße oder Frosch­schen­keln in Erb­sen­sup­pe – von Gän­se­stopf­le­ber (womög­lich noch mit einem süßen Sau­t­er­nes ser­viert) ganz zu schwei­gen. Um der­lei habe ich stets einen gro­ßen Bogen gemacht. Einen Bogen, der in spä­te­ren Jah­ren immer öfter zu Dis­kus­sio­nen um Tisch­kul­tur und Iden­ti­tät geführt hat. Unbe­streit­bar besteht hier ein inne­rer Zusam­men­hang. Viel­leicht habe ich des­halb ange­fan­gen Phi­lo­so­phie zu stu­die­ren, auch um Streit Dis­kurs nen­nen zu kön­nen und Maman zu beru­hi­gen. Sie mein­te es immer gut mit mir und den ande­ren, berei­te­te mir einen Salat – aller­dings mit „gesier“. So ent­stand wenigs­tens etwas ver­steck­te Exo­tik im Gericht. Solan­ge ich nicht wuss­te, dass es sich dabei um Enten­mä­gen han­delt, gab es ein gutes Jahr Frie­den am Tisch.

Irgend­wann wur­de es zuneh­mend schwe­rer, sich als „boche“ (Kar­tof­fel­kä­fer) in der Fami­lie zu behaup­ten. Zumal die Hoff­nung nicht starb, ich wür­de doch end­lich ein Ein­se­hen haben und mit dem Alter auch ein Stück­chen kul­ti­vier­ter wer­den.  

Der Dis­kus­sio­nen letzt­lich müde, beschloss ich Vege­ta­rie­rin zu wer­den. Nach dem ers­ten gran­dio­sen Schock konn­ten die Fami­li­en­fes­te fort­an ohne ner­vi­ge Gesprä­che um Tier­wohl und Genuss wesent­lich ent­spann­ter ver­lau­fen und Maman, mitt­ler­wei­le voll­stän­dig ein­ge­bür­gert, ver­zich­te­te auf die immer wie­der­keh­ren­den Nah­rungs­an­ge­bo­te a la fran­cai­se. Es war der ein­zi­ge Weg, den Fami­li­en­frie­den zu wah­ren und über­haupt in Frank­reich ohne Gesichts­ver­lust zu über­le­ben.  

„Leben wie Gott in Frank­reich“ ist unge­ach­tet des­sen, wel­che Opfer hier gebracht wer­den, indis­ku­ta­bles Cre­do. Die „Gran­de Nati­on“ hat sich neben Napo­le­on, Vol­taire und der Auf­klä­rung en pas­sant auch Gott zu Eigen gemacht. Die Anzahl der enor­men Kir­chen­aus­trit­te ist hier nicht von Bedeu­tung. Wer möch­te glau­ben, dass man Gott in einem Land wie die­sem in der Kir­che fin­det? Gott sitzt am Küchen­tisch, mit­ten unter uns, und das nicht nur am Sonn­tag.  

Fran­zo­sen lie­ben das Essen. Die Wert­schät­zung, mit der sie ihre Pro­duk­te ver­ar­bei­ten, kommt bei­na­he einem Gebet gleich. Tie­re wer­den auf dem Altar der hau­te cui­sine nicht geop­fert, son­dern gefei­ert. In den Augen der Gour­mets ster­ben sie für einen guten Zweck – den bes­ten über­haupt. Genuss! Das nimmt bei­na­he bibli­sches Aus­maß an. Doch das Schlacht­feld der Küche ehrt die gefal­le­nen Sol­da­ten­tier­chen mit Ster­nen und Hau­ben.  

Ich schwei­ge, läch­le in Patricks Augen und knab­be­re an mei­nem Baguette.  Ich las­se mich wie­der ein­mal bestechen vom Wunsch nach Har­mo­nie, Lie­be und Cham­pa­gner.

Immer­hin gibt es noch mehr im Land des Essens und der Lie­be, das es wert ist, ein Auge zuzu­drü­cken. Dar­über gibt es nichts zu dis­ku­tie­ren. Die Viel­falt der Regio­nen, die Wei­te der Land­schaft, der Duft von Laven­del und Meer, las­sen das Para­dies erah­nen. Auf jeder Fahrt hier­her kom­me ich mit jedem Kilo­me­ter dem Geruch von Leben ein Stück­chen näher. Die Spur führt durch unter­schied­lichs­te Gegen­den und am Ende jeder end­los schei­nen­den Allee erscheint ein neu­er Hori­zont.

Die Ver­mu­tung liegt nahe, Gott wür­de, wäre er auf die Erde ange­wie­sen, in der Tat La Bau­le dem Tim­men­dor­fer Strand und bei einer Wein­ver­kos­tung einen Saint Este­phe einem Sankt Lau­rent vor­zie­hen.  

Zuge­ge­ben – wir Deut­schen sind kom­plex­be­la­den – gera­de im Hin­blick dar­auf unser Land zu lie­ben und doch mag ich mein Land für sei­ne Offen­heit. Die Bor­niert­heit länd­li­cher Gegen­den im Hin­blick auf die Tole­ranz­gren­ze tra­di­tio­nel­ler Spei­se­kar­ten unter­schei­det sich jedoch kaum von fran­zö­si­schen Bis­trots (selbst nicht in Paris). Auch wir ken­nen „Pate“ und nen­nen es „Lewer­worscht“ und auch der Wein ist uns nicht fremd – zumin­dest in der Pfalz. Viel­leicht habe ich doch etwas gelernt von mei­ner fran­zö­si­schen Hälf­te der Fami­lie und bin daher in die Pfalz gezo­gen. En France ist Wein jeden­falls Natio­nal­ge­tränk und als sol­ches in kei­ner Men­gen­be­gren­zung zu bean­stan­den; Pfer­de­fleisch bleibt selbst für Rei­ter kein Tabu und La Baguette zumin­dest in der Vor­stel­lung frei von Koh­len­hy­dra­ten. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Eine Ein­stel­lung mit der man auch schwe­re Schick­sals­schlä­ge mit rela­ti­ver Non­cha­lance über­steht.

Patrick ist mit die­ser Ein­stel­lung bis­lang gut gefah­ren. Er ist auch mit sei­nen 70 Jah­ren noch eine Mischung aus Bel­mon­do und Delon. Schlank, mus­ku­lös und immer tres chic, sitzt er auch beim Aus­tern Öff­nen mit einem hell­blau­en Hemd und zurück­ge­schla­ge­nen Ärmeln am Kopf­en­de des Tisches. Er ver­sprüht eine Aura von savoir viv­re. Sei­ne Stim­me ist rau­chig, sein Hemd­kra­gen einen Knopf zu weit geöff­net und am kräf­ti­gen Hand­ge­lenk trägt er eine Gour­met­te mit sei­nem Namens­zug. Sein Duft ist mar­kant und das Par­fum klar wie die Bri­se des Atlan­tiks an einem Herbst­tag. Ich kann Maman ver­ste­hen, war­um sie sich damals Hals über Kopf ver­lieb­te und ihr Land ver­ließ, um Hei­mat zu fin­den in den Armen eines Man­nes, den Sie kaum kann­te.

Das Geräusch des Mäh­dre­schers von Mon­sieur Dupouy holt mich aus mei­nen Gedan­ken und über­tönt das sanf­te Zir­pen der Gril­len. Sie sind momen­tan nicht sehr laut. Offen­bar gibt es kei­ne Weib­chen zu beein­dru­cken.  

Da tönt die Stim­me von Charles Tre­net an mein Ohr und erzählt mir vom Meer. Gleich wird die Plat­te wie­der sprin­gen – immer an der­sel­ben Stel­le von „La mer“, kurz bevor der Som­mer­him­mel auf Engel trifft. Ich kann nicht sagen, wie vie­le Auf­nah­men ich Patrick schon geschenkt habe, aber er legt immer wie­der nur die­se eine Plat­te auf den alten Spie­ler mit der Saphir­na­del, als wür­de er wie damals mit Maman durch den Salon tan­zen wol­len.  

Das Bild erin­nert mich dar­an, mich umzu­zie­hen und dann las­se ich es doch.  

Der Tisch ist schon gedeckt. Patrick schaut in die Son­ne und nimmt einen Schluck vom Sancer­re, den er sich wie stets als Ape­ri­tif ein­ge­schenkt hat. Das ist geleb­te Dank­bar­keit und die Ein­la­dung an Gott, hier Platz zu neh­men.  

Ich gehe nach oben und hole Mamans Decke aus ihrem Zim­mer, denn die Herbst­son­ne neigt sich früh hin­ter dem Trom­pe­ten­baum und schafft Küh­le auf der Ter­ras­se. Patrick war­tet. Er schließt die Augen und lächelt. Den­noch scheint es mir, als wür­de sich an den Augen­win­keln eine Trä­ne den Weg bah­nen. Gewiss hofft er dar­auf, Mamans Schrit­te zu hören. So wie er es immer tat, ehe sie ihm kurz vor dem Essen ihren Kuss auf die Lip­pen hauch­te. Erst dann öff­ne­te er die Augen, wach­ge­küsst wie Dorn­rös­chen aus einem ver­wun­sche­nen Traum. Vie­le Träu­me haben sie zusam­men gelebt – der Größ­te war wohl ihre Ehe, an die kei­ner so recht glau­ben woll­te.  

Heu­te aber, heu­te wird sie nicht kom­men. Es ist der ers­te Geburts­tag ohne sie. Die blau­en Fens­ter­lä­den vor ihrem Zim­mer sind geschlos­sen. Sie schläft nun den ewi­gen Schlaf „avec les anges si purs“, wie Tre­net singt. „Gott hat sie mir aus­ge­spannt“, hat Patrick gesagt, als er ihre Augen schloss.  

Heu­te wer­de also ich ihren Platz am Tisch ein­neh­men. Ohne Kuss, aber mit der Gesell­schaft, die er so sehr schätz­te und mit einem Glanz in den Augen, die nur Lie­be schen­ken kann.  

Um genau Vier­tel nach Fünf, ihrer Geburts­stun­de, öff­net Patrick den Cham­pa­gner und ich schlür­fe eine Aus­ter.  

So schmeckt also Leben. Gar nicht so schlecht.

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