Foto: Peter Her­zer, Foy­er in der Pfalz­aka­de­mie Lam­brecht



Bericht vom Autor­en­se­mi­nar am 18.10.25 in Lam­brecht


Die zwölf Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer, dar­un­ter zwei ohne Text­bei­trag, fan­den sich rela­tiv pünkt­lich ca. 9:30 Uhr in der schön und modern reno­vier­ten Pfalz­aka­de­mie ein.
Der ”Kastanien”-Raum im Busi­ness-For­mat lud zur Sach­lich­keit ein, aber der Humor kam auch nicht zu kurz. Im Vor­jahr fand das Semi­nar aus Ter­min­grün­den aus­nahms­wei­se im Forst­haus Ann­wei­ler statt.
Das Autor­en­se­mi­nar hat eine jahr­zehn­te­al­te Tra­di­ti­on. Gabrie­le Wein­gart­ner schrieb 2002 in Zei­ten von Lutz Stehl und Gerd Fors­ter in der NLP: „In Lam­brecht wur­de am Wochen­en­de … ein beson­ders demo­kra­ti­sches und soli­da­ri­sches Kon­zept ver­folgt. Soli­da­risch vor allem im Bewußt­sein, daß Schrei­ben immer Arbeit am Text bedeu­tet. Nicht nur Genie­streich.„
Bir­git Heid gelang es in ihrer Amts­zeit, das For­mat in der Moder­ne stän­dig wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, so wur­de der zuneh­men­de Ein­satz von KI dis­ku­tiert.


Den Anfang mach­te Peter Her­zer aus Kai­sers­lau­tern mit sei­nem Pro­sa­text ”Hil­fe­ru­fe”. Eine 92jährige gebil­de­te Frau wird in ihren letz­ten Stun­den von ihrem Nef­fen Karl ver­sorgt. Er, Ange­stell­ter einer Groß­wä­sche­rei, ist trotz noch leben­der naher Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ger der ein­zi­ge in der Fami­lie, der sich um die Frau küm­mert und der im Augen­blick von Ger­das Tod ihr das Gefühl zu geben ver­sucht, nicht allein zu sein. Nach­dem sie gestor­ben ist, dreht er die auf­ge­häng­ten Fami­li­en­fo­tos der Ver­stor­be­nen um und ringt sich ein Lächeln ab.
Jemand macht auf die Ver­wen­dung des Mar­ke­ting-Wor­tes „Resi­li­enz“ auf­merk­sam. Auf eine mög­li­che Weg­lauf­ten­denz wur­de hin­ge­wie­sen durch die Beschrei­bung von „knar­ren­den Die­len im Alt­bau, durch deren Rit­zen die Hil­fe­ru­fe von Ger­da spi­ral­för­mig an Karls Bei­nen sich hoch­win­den.“ Es wur­de gefragt, war­um Karl noch eine Stun­de nach Ger­das Tod war­tet, bevor er den Arzt anruft. Eine Autorin ver­zeich­ne­te im Text eine gro­ße Empa­thie.

Knut Busch aus Kriegs­feld las einen kur­zen unter­halt­sa­men Text mit dem Titel ”Spät­chen” vor.
Der Prot­ago­nist liegt im Bett und ringt um den bes­ten Zustand beim Auf­ste­hen. Er macht sich bereit für den Tag und äußert iro­ni­sche Kom­men­ta­re zu sei­nem Kör­per, der doch sehr in die Jah­re gekom­men ist. Auch ein Mal­heur mit dem letz­ten ordent­li­chen Hemd bringt ihn nicht aus der Fas­sung.
Der Text wur­de als wit­zig beschrie­ben. Dem Autor gelingt, nach Ansicht eini­ger Teil­neh­mer, even­tu­el­le Kli­schees zu bre­chen. Eine Selbst­iro­nie mit einem Schuß Schwer­mut ist fest­zu­stel­len und in einer Anti­no­mie zum gän­gi­gen ”Früh­chen” steht das Wört­chen ”Spät­chen”. Eine Autorin bemerk­te, er sei groß genug, um sich selbst in Fra­ge zu stel­len.


Dani­el Hoff­mann aus Flem­lin­gen legt bei sei­ner Lyrik Wert auf selbst­ge­setz­te for­ma­le Regeln wie z.B. auf eine gewis­se Sym­me­trie (ca. 7 / 8 Sil­ben, auch Musi­ka­li­tät). Er las neun Gedich­te vor.
Im Gedicht Der ver­spä­te­te Brief” wur­de der Vor­schlag gemacht, dass der letz­te Satz “Hast du mich längst ver­ges­sen“ hei­ßen soll­te.
Im Gedicht ”Uner­reich­ba­re Per­fek­ti­on” wäre die Aus­sa­ge von Teil­neh­mern noch per­fek­ter, wür­de man die meis­ten Arti­kel weg­las­sen
: / Eifern nach der Per­fek­ti­on, / Ist die rei­ne Illu­si­on, /.
„Es rückt eine Streit­macht aus“: Eine Teil­neh­me­rin sag­te, der Text hät­te etwas Mar­tia­li­sches: / Der Regen gleicht Hel­le­bar­den, / Der Hagel­schlag bil­det Schwer­ter /.
Das Gedicht “Rui­nen“ habe lyri­schen Cha­rak­ter, wür­de durch das Weg­las­sen von Ver­ben noch bes­ser wer­den.
„Der Regen“ hat meist 7 Sil­ben. Rat zwei­er Teil­neh­me­rin­nen: Jede Stro­phe soll­te mit dem Refrain auf­hö­ren: Fühlst du das über­haupt?
Das 3‑strophige Gedicht ”Zyklus” zeigt eine gewis­se Kreis­be­we­gung auf. In der Mit­te dann der erra­ti­sche Satz: “Ich brau­che dich doch“ (Son­ne, Gelieb­te).
Die Rol­le der Roman­tik wur­de bespro­chen und eini­ge For­mu­lie­run­gen wie „vom Win­de ver­weht” wur­den dis­ku­tiert. Der Autor ver­moch­te es, kon­struk­ti­ve Kri­tik elo­quent und humor­voll zu kon­tern.


Bei den Teilnehmern/Teilnehmerinnen kam das The­ma auf, wie es mit Über­set­zun­gen deut­scher Gedich­te wäre. Teil­wei­se wären die­se über­setzt bes­ser als die deut­schen vor­lie­gen­den. Jede Über­set­zung, sag­te eine Teil­neh­me­rin, sei ja eine Nach­dich­tung.


Nach einer aus­führ­li­chen Kaf­fee­pau­se ging es mit Jose­fin Wulf aus Wein­heim wei­ter: ”Mor­gen also ist die Urteils­ver­kün­dung!” Ein als emo­tio­nal emp­fun­de­ner Text, in dem eine Ehe­frau beschreibt, wie sie ihr Ehe­mann mit Pro­sti­tu­ier­ten betro­gen hat und letzt­lich sogar eine Pro­sti­tu­ier­te ermor­det, wofür er womög­lich lebens­läng­lich hin­ter Git­tern kommt. Der Ehe­mann wird als kar­rie­re­be­wuss­ter Nar­zisst beschrie­ben. Es könn­te sich um einen inne­ren Mono­log han­deln, indem sie klagt, dass alle in ihrer Fami­lie mit­be­straft wür­den. Und kei­ner, sie nicht, und auch nicht von ”mei­nen Freun­din­nen” irgend­et­was gemerkt hät­ten. Trotz­dem will sie ihm am nächs­ten Mor­gen Ade sagen.
Der Text wur­de als sehr gelun­gen wahr­ge­nom­men. Kom­men­ta­re lau­te­ten: „Schwie­ri­ges The­ma, aber toll umge­setzt”, „Ein typi­sches Frau­en­schick­sal”, „Ein Mono­log aus der Wut her­aus”. Am Schluß des Tex­tes wird sie von einem Psy­cho­lo­gen betreut, der nach Ansicht einer kom­pe­ten­ten Teil­neh­me­rin zu flott behan­delt, denn die Prot­ago­nis­tin sucht abends Halt bei einer Rot­wein­fla­sche.



Lothar Seid­ler aus Hei­del­berg brach­te eine lau­ni­ge Auto-Geschich­te mit: „Im Auto unter­wegs“. Eine Cli­que von Freun­den, der Ich-Erzäh­ler, Bim­mi, Imi, und Andi wol­len mit dem neu­ge­kauf­ten roten Kom­bi vom Bim­mi zur Eröff­nung des neu­en Elek­tro­fach­mark­tes fah­ren. Nach vie­lem Hin- und Her­fah­ren verfahren/verirren sie sich voll­kom­men. Auf dem Rück­weg kom­men sie am neu­en Elek­tro­fach­ge­schäft vor­bei, wo ein Schild dar­auf auf­merk­sam macht, dass der Laden tat­säch­lich erst eine Woche spä­ter öff­net.
Das The­ma hier heißt: Kom­mu­ni­ka­ti­on erst­mal in Sachen Auto­fah­ren. Dann Kom­mu­ni­ka­ti­on im Sin­ne auf­fal­lend bana­ler All­tags­kom­mu­ni­ka­ti­on… Auch die bewusst wenig aus­sa­gen­den Namen der Per­so­nen. Ein Autor befand, dass Seid­ler in sei­nen Tex­ten immer wie­der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stö­ri­un­gen the­ma­ti­siert, wobei in Fol­ge die Prot­ago­nis­ten ihre Zie­le aus dem Auge ver­lie­ren.
Die Erzäh­lung wur­de mit einer Para­bel ver­gli­chen und gelobt.

Um 12 Uhr wäh­rend des Mit­tag­essens ver­ließ Peter Her­zer das Semi­nar, um den um 14 Uhr begin­nen­den Bocken­hei­mer Mund­art­dich­ter­wett­streit zu besu­chen.

Kat­rin Kirch­ner aus Mut­ter­stadt schrieb mit ihrem Text ”Tol­le Tage” über den Fasching, der über­all im Rhein­land eine beson­de­re Bedeu­tung hat. Zwei jun­ge Ehe­leu­te haben sich einem Faschings­ver­ein ange­schlos­sen, wobei sie als Tanz­ma­rie­chen kos­tü­miert (rot-weiß und schwar­zer Haar­pe­rü­cke) mit einem Tanz­ma­jor tanzt und trai­nert. Und er, sel­ber mit neu­er Uni­form, Feder­hut aus­ge­stat­tet, aber eifer­süch­tig auf den Tanz­part­ner sei­ner Frau ist, sie nur von fer­ne beob­ach­ten kann. Er ver­wech­selt sei­ne Frau mit einem ande­ren Tanz­ma­rie­chen, die von einem Mann umarmt wird, wirft in der Dun­kel­heit einen spit­zen Stein auf die­se Frau, die umfällt und sich nicht mehr rührt. Über­zeugt, dass er sei­ne Frau erschla­gen hat, kehrt er nach Hau­se zurück und fin­det – sei­ne Frau vor dem Fern­se­her.
Im Rhein­land bedeu­tet die Faschings­zeit, (man sagt hier aller­dings Fas­nacht!) dass ein­mal im Jahr jeder der Jecken (Nar­ren) gro­ße Wert­schät­zung erfah­ren soll. Eine Eifer­suchts­tat führt hier mög­li­cher­wei­se dazu, dass ein Tanz­ma­rie­chen ver­letzt oder sogar getö­tet wird. Das Ende ist offen.
Die knis­tern­de Span­nung des Tex­tes ist förm­lich zu spü­ren. Die Auf­lö­sung des Miss­ver­ständ­nis­ses wur­de dis­ku­tiert.


Gui­do Lill aus Schif­fer­stadt las zwei Gedich­te vor. Das ers­te war ‚’schön” und im her­kömm­li­chen Paar­reim ver­fasst, das zwei­te Gedicht war dem ”Zeit­geist” gewid­met.
Der Weg sei das Ziel, man sol­le sich vom Zeit­geist frei­ma­chen, sogar „über den Zeit­geist lachen”.
Eines wur­de als sehr gut aus­ge­ar­bei­tet bespro­chen, das ande­re spie­gel­te die gegen­wär­ti­gen gesell­schaft­li­chen Strö­mun­gen auf humor­vol­le Art wider.


Bir­git Heid aus Godram­stein las ihren Text „Bild­schirm­schat­ten”. Die wohl puber­tä­re, sich meis­ten­teils selbst über­las­se­ne Toch­ter Smil­la (Mut­ter berufs­tä­tig, Vater im ande­ren Bun­des­land wohn­haft) beich­tet ihrem Vater über das Lap­top, dass die Mut­ter so kalt sei, ihr Kla­vier­leh­rer sich offen­sicht­lich ihr nähe­re (Hand auf der Schul­ter). Der Vater gibt ihr Rat­schlä­ge. Doch dann steht wütend die Mut­ter in der Tür.
Inner­halb der Teilnehmer/Innen wur­de moniert, dass der Vater auch kei­ne gro­ße Hil­fe sei, ähn­lich wie die Mut­ter, bei der man auch nicht wis­se, wie es mit der Bezie­hung Mut­ter-Smil­la wei­ter­ge­he. Es wur­de dis­ku­tiert, inwie­weit das Annä­hern des Kla­vier­leh­rers bereits pädo­phi­le Züge habe.
Die The­men Nähe, Ver­trau­en und Pädo­phi­lie wur­den ein­ge­hend dis­ku­tiert.

Mar­git Kraus, Wald­see: ”Inne­re Emigration/(Carpe-Diem)”. Es han­delt sich hier um einen fik­ti­ven Dia­log im Leben und Wir­ken von Ste­fan And­res, deut­scher Dich­ter, sei­ner Frau Doro­thee, die das Buch ”Car­pe Diem” schrieb, und des­sen Ver­le­ger Klaus Piper in Mün­chen. In vie­len gegen­sei­ti­gen Besu­chen ver­su­chen die Freun­de nach dem Krieg, jeder auf sei­ne Wei­se, ihr jewei­li­ges Den­ken und Han­deln im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land zu recht­fer­ti­gen und zu erklä­ren.
Das Gespräch hier endet – sowohl in einer erschre­cken­den Bestands­auf­nah­me als auch mit einer gewis­sen Hoff­nung und Offen­heit. Teil­neh­men­de des Semi­nars erwähn­ten Bischof Cle­mens Graf von Galen, der sowohl mit den Nazis sym­pa­thi­sier­te, gleich­zei­tig die Eutha­na­sie-Pro­gram­me ver­ur­teil­te. Es wur­de Bert­hold Span­gen­berg (NSDAP) erwähnt, Papst Cle­mens und die Reden von Tho­mas Mann aus den USA an ”Deut­sche Hörer” über BBC-Radio von 1940 bis 1945.
The­ma­tisch wur­de inten­siv dis­ku­tiert, inwie­weit Oppor­tu­nis­mus und Wider­stand in einer Per­son vor­han­den sein kön­nen.


Ursu­la Dör­ler aus Stel­zen­berg brach­te eine amü­san­te Benimm-Geschich­te mit: “Aber bit­te mit Kul­tur“. Ein Per­so­nal­ver­ant­wort­li­cher sucht eine stil­voll-ele­gan­te Per­so­nalas­sis­ten­tin mit her­vor­ra­gen­dem Beha­viour, die er auch inter­na­tio­nal vor­wei­sen kann. Die Bewer­be­rin mit ”Zäh­nen wie ein Pferd” zieht unge­rührt im Restau­rant ihren Pull­over aus, der frus­trier­te Chef schüt­tet ihr unge­wollt einen Schwall Sup­pe über. Das Gan­ze endet damit, dass die Bewer­be­rin den Job bekommt, weil sie ihr Mal­heur gekonnt in einen Sieg umdreht.
Die Erzäh­lung wur­de als humor­voll, lebens­nah und sehr gut aus­ge­ar­bei­tet emp­fun­den.


Kurz vor Ende des Semi­nars kam Peter Her­zer zurück und trug sein Gedicht „De freie Wil­le” vor, in dem es um ”Nah­tod­erfah­run­gen” geht. Ein Pfar­rer lud einen Schrift­stel­ler zu einer Lesung in sei­ne Kir­che ein. Der Autor schil­dert, wie er sich nach einem Flug­zeug­ab­sturz in der Wüs­te beim Wie­der­be­le­bungs­ver­such von oben sieht. Eine älte­re Frau muss sich wäh­rend­des­sen längs hin­le­gen. Die Ich-Erzäh­le­rin sieht sich am Ende auch von oben und kann nicht mehr zurück.

Das Semi­nar ende­te ca. 17:30 Uhr.

//Der Bericht wur­de haupt­säch­lich von Mar­git Kraus ver­fasst, mit Ergän­zun­gen von Peter Her­zer und Bir­git Heid.//