
Im November 2025 führte Peter Herzer anläßlich ihres Gewinns im internen Schreibwettbewerb Prosa ein Interview. In den acht Fragen und Antworten werden aktuelle literarische Themen und persönliche Lebensmotive beleuchtet.
Was verbindet dich mit deiner Geburtsstadt Bad Tölz?
Ich stelle mir immer vor, ich wäre dort in Bad Tölz in dem alten Kreiskrankenhaus auf die Welt gekommen. Das hatte nämlich seine Frontfenster mit Blick auf die nahen Berggipfel, die Alpen. Daher rührt wahrscheinlich meine Begeisterung zum Bergwandern.
Du bist Diplom-Psychologin und im Umgang mit Menschen geschult. Wie wirkt sich das auf deine Werke aus? Bietest Du gute Storys zu schwierigen Verhalten an?
Ich hatte schon immer eine Neigung zum Psychologisieren. Das hat früher meine Mutter sehr genervt. Keine Auseinandersetzung mit ihr in der Pubertät ohne „Analyse“. Nein, Spaß beiseite. Ich habe auch eine Psychotherapie-Ausbildung und habe lange Berufsjahre im psychosozialen Bereich gearbeitet. Beim Schreiben denke ich überhaupt nicht abstrakt an Psychologie. Meine Figuren in den Erzählungen sind keine an sich selbst oder der Welt gescheiterte Typen. Die gibt es in der Realität zu Hauf. Statt Realität interessiert mich eher Wahrheit – bis heute ein nicht ganz ausgeloteter Begriff. Jede Figur in meinen Geschichten lebt ihre eigene Wahrheit, die will sie durchbringen, und das Ganze ist eher gewürzt mit List und Ironie. „Frau Knöpfle“ beispielsweise aus „Pfaffenhütchen“ war so eine.
Ab und an eine Prise Humor ist auch nicht schlecht: „Schlafen kann ich alleine. Aber tagsüber brauche ich einen tüchtigen Mann.“ Das ist die Knöpfle, waschecht.
Mehrere Geschichten spielen in der frühen Neuzeit, wie z.B. der Bauernkrieg oder im Leben von Pfalzgraf Casimir. Was hat dich dazu bewegt?
In frühere Zeiten zu versetzen und verstehen zu wollen, wie es zu z.B. zu Kriegen kam, das finde ich sehr wertvoll für unsere Jetzt-Welt. Wie viel Anteil an Gewalt und kriegerischen Geschehen, erstarrter (Volks-)Glaube, Macht und Hegemonial-Interessen usw.? Da hat sich nicht viel geändert, die Methoden und Instrumente vielleicht. Man greift nicht mehr zur Mistgabel oder Flinte, heute bedient man sich der Manipulation in der medialen Kommunikation, und der künstlichen Intelligenz. Weil ich nahe Kaiserslautern wohne, hat mich der Pfalzgraf Casimir interessiert. Aber sein Werdegang war auch mit (Hugenotten-)Blut besudelt. Das 16. Jahrhundert ähnelt stark unserem Jahrhundert, weil beide Zeiten von tiefgreifenden Umbrüchen, neuen Technologien und gesellschaftlichen Veränderungen geprägt sind. Aber haben wir aus der Geschichte gelernt? Wollen wir das überhaupt?
Was sagst Du zu dem für Hugo Ball zugeschriebenen Zitat: „Eine Umarmung ist ein ideales Geschenk. Die Größe passt jedem, und niemand hat etwas dagegen, wenn man es weiter gibt.”
Ich bin in Pirmasens aufgewachsen und Hugo Ball war mir früh bekannt, weil er in Pirmasens geboren war, man nannte z.B. ein Gymnasium nach ihm. Er war Autor, Expressionist und Dadaist. Dieses populäre Zitat kursiert v.a. in social media, auch in Englisch, auch neben niedlichen Katzenbildchen.
Angeblich wäre es ihm zugeschrieben. Ich wäre da vorsichtig. M.E. passt es weder stilistisch noch thematisch zu Hugo Ball. Seine Texte sind mir eher satirisch, politisch in Erinnerung. In der damaligen Kunstwelt der Bohème hat man sich von allem Sentimentalem und Althergebrachten strikt distanziert.
Hugo Ball hat sogar eine eigene Kunstrichtung mitbegründet: Lyrik aus puren Klangwerten, Lautgedichte. Das klingt so „gadji beri bimba – - glandridi lauli lonni cadori usw.“ Das verbinde ich mit dem frühen Hugo Ball und Dada.
Planst Du eine Buchveröffentlichung? Bisher fanden sich Texte von dir in Anthologien und Zeitschriften…
In der Tat, es liegt ein halbfertiges Romanmanuskript in der Schublade: Philippa, ein Küchenmädchen im Haushalt des berühmten Malers Leonardo da Vinci, das auch gerne wie seine Gesellen malen lernen will. Philippa als Figur ist mir schon längst ans Herz gewachsen und sie hätte so gerne, dass es weiter geht. Aber ich müsste täglich mehr am Schreibtisch sitzen. Da schlafen mir jedoch die Beine ein … Mal sehen.
Was war deine bedeutsamste Wahl persönlicher Natur, die Du im Leben treffen musstest?
Die bedeutsamste – das kann ich gar nicht so sagen. Aber oft denke ich, die Entscheidung, meine elterliche Wohnung gleich mit dem achtzehnten Lebensjahr verlassen zu haben und in eine fremde Stadt wegzuziehen, war sehr wichtig. Leben in einer WG, mit Nicht-Verwandten, mit „Freiheit“ und „Grenzen setzen“ klarkommen. Das ewige Ausdiskutieren, z.B. Wer bringt den Müll raus? Fehler machen und damit alleine klarkommen. Das alles und vieles mehr sind wichtige Erfahrungen für mich gewesen, die man, glaube ich, später nicht mehr nachholen kann.
Seit Februar 2025 bist Du im Vorstand LVP vertreten und u.a. für die Jahresgabe verantwortlich. Das Motto für 2026 lautet Eskapaden / Eskapismus.
Ich finde es toll, dass der Teamgedanke in der Neustruktur des Vorstandes eine Rolle spielt. So auch in der Vorbereitung der zukünftigen Anthologie, wir sind zu dritt für diese Aufgabe. Das Motto lässt m.E. ein breites Spektrum von Assoziationen zu, um sich inspirieren zu lassen, zum Schreiben über leichtsinnigen Handlungen, Romanzen, Escape-Rooms bis Rückzug in die Natur und Realitätsflucht. Eingesendet werden können Texte zu Kurz-Prosa und/oder Lyrik. Für manche dürfte es auch eine gute Möglichkeit sein, in diesem Format ihren Text später veröffentlicht zu sehen.
Überhaupt, mir gefällt die Zusammenarbeit mit den Kollegen auf Augenhöhe und die Vielfalt von Aktivitäten, die stattfinden, um Kreative im Schreiben zusammenzubringen und zu fördern.
Was meinst Du bitte: Wie viel Prozent KI darf in den einzelnen Einreichungen drinstecken? Wie ist das Thema für die Zukunft zu bewerten?
Im Ernst? Soll ich sagen 41 %? Exakte Prozentanteile lassen sich nicht seriös abbilden. Viele Autoren kommen früher oder später in Berührung mit einem KI-gestützten Sprachassistenten. Ich würde es sogar empfehlen. Warum? Man kann viel lernen. Einfach einzugeben „Schreib mir eine Geschichte über xy“, das finde ich unkreativ und tatsächlich kommt Banales, Klischeehaftes heraus.
Was ich meine: von KI sich inspirieren lassen oder zusammen eine Figur zu entwickeln und eigenständig damit weiterarbeiten. Oder eigenständig erarbeiteten Text eingeben und kritisch auf Schreibqualität analysieren lassen, Feedback einholen. Ich kann auch ein sehr praktisches wie kritisches und die Breite der KI-Nutzung abbildendes Buch empfehlen: Belmonte „Was bleibt von uns, wenn das Wasser kommt. Einsatz generativer KI in erzählender Literatur.“
