Ein Sandkorn – Die Welt in meinem Schreibheft
Eleonore Hefner von Kultur Rhein Neckar e. V. zeigte sich sichtlich erfreut über die vielversprechende LitMus-Reihe. Für die dritte diesjährige Ausgabe am 15. Mai wurde die Schriftstellerin Birgit Heid aus Landau eingeladen, sie ist die Erste Vorsitzende des Literarischen Vereins der Pfalz. Hefner empfindet sich als Expeditionsleiterin, die auf Entdeckungsreise durch die regionale Szene geht, um kulturelle Schätze ans Licht der Öffentlichkeit zu heben. Tanja Weissmann, Leiterin der Stadtbibliothek, betonte die erfolgreiche Kooperation und literarisch-musikalische Bereicherung, auch der Förderkreis der Bibliothek ist involviert.
Jens Bunge (Mundharmonika) und Henri Viera (Gitarre) sorgten mit ihren stimmungsvollen, vitalen Stücken für internationalen Glamour. Ihre nächste Tour geht nach Japan.
Die literaturaffine Pfarrerin Susanne Schramm aus Ludwigshafen interviewte Birgit Heid und interessierte sich anfangs für ihre Biografie: Wie kam die Autorin überhaupt darauf, Gedichte zu schreiben? Denn Heid arbeitete nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium in Nürnberg einige Jahre als Controllerin in einem Industriebetrieb. Planen, formgeben, kontrollieren – Konzentration. Die Autorin wandte ein: Controlling ist eine Art Philosophie. Wenn man sich bewusst wird, was man tut, hat man Zeit für sinnvolle Dinge. So kann man Erlebnisse strukturiert verarbeiten. Birgit Heid führte humorvoll aus: „Ja, eine Controllerin kann selbstverständlich auch Gefühle haben!„
Besonders schöne Erlebnisse und Reisen, kleine Wunder des Alltags, verknüpft mit tiefergehender Sensibilität und Beobachtungsgabe, lösen in ihr eine Faszination aus – manchmal finden sich treffende Worte, über die sich die Autorin stundenlang Gedanken macht. Ihr kritischer, scharfzüngiger Intellekt blitzt insbesondere dann auf, wenn sie sich in der Öffentlichkeit gegen antidemokratische Tendenzen wehrt.
Birgit Heid schrieb in der Familienphase zunächst Märchen für ihre Kinder. Auf einer Veranstaltung in Landau lernte sie den Pfalzpreisträger Wolfgang Diehl kennen und profitierte von seinem profunden literarischen Wissen. Ein Schwerpunkt seines Wirkens liegt bei Martha Saalfeld. Heid besichtigte das Haus in Bad Bergzabern, welches sie mit ihrem Mann Werner vom Scheidt bewohnt hatte. In der Folge dichtete sie eine Zeit lang täglich ein Sonett, versuchte ihren Stil nachzuempfinden. Schramm fragte sie nach dem Lieblingswort – Saalfeld verwendete sehr oft „stockt”, sie selbst habe eine Vorliebe für „Sedimente”.
Aus ihrem Gedichtband „Die Partitur des Donners” trug Heid zwei Sonette vor: „Das Fort”, damit sind Ruinen in Landau bei der Universität und Zoo gemeint sowie „Märznacht”, worin Naturelemente zum starken Ausdruck kommen:
Die Frühlingsnacht am Haardtrand gibt sich mild
und weise. Neues Gras legt Apfelhand
auf das Gesicht. Und über rotem Sand
erklomm Azur mit Segeln aus Gefild
Mit der Zeit wurden ihre Gedichte immer hermetischer. Eine Spezialität von Heid sind Dichtungen in Haiku und Tanka (alte japanische Form seit dem 13. Jh). Sie wurde konsequenterweise Mitglied der Deutschen Haiku-Gesellschaft.
In späteren Jahren wandte sie sich vermehrt der Kurzprosa zu. Heid schrieb einen historischen Roman, welcher hauptsächlich in Herxheim in der Jungsteinzeit handelt. Dort befindet sich eine mysteriöse Grabanlage.
Vor zwei Jahren hörte sie einen Vortrag im Radio über Monika Mann (1910–1992), mittlere Tochter von Thomas und Katia Mann. Sie erhielt für ihren geplanten biografischen Roman ein Landesstipendium. Die Quellenlage ist wegen der Kriegsschäden unzureichend. Die Autorin ist noch auf Verlagssuche.
Die Moderatorin hakte nach: Ist es nicht ein aufregender Moment, wenn man sich sagt, jetzt ist das Buch fertig! Birgit Heid erwiderte, es gibt da noch kein Ende, da in ihrem Kopf noch vieles herumspukt, was nicht stimmig sein mag. Das Redigieren dauere sicherlich noch einige Monate. Schramm fragte weiterhin, ob sie Roman-Orte besucht hatte, wie etwa Capri. Birgit Heid war unglückseligerweise verunfallt, außerdem sei es auch eine Kostenfrage. Das Grab der Manns liegt z. B. in Kilchberg (Schweiz).
Apropos Motto des Abends. Während sie letztes Jahr wochenlang im Krankenhausbett lag, Bein‑, aber kein Halsbruch, erhielt sie ein Schreibheft, in welches sie nahezu distanzlos ihre Gedanken, Gefühle und Beobachtungen mit einem stenografischen Stil aufnotierte. Sandkörner. Denkbar wäre, dass auch in der Realität ein Sandkorn hineinfinde. So winzig es auch sei, es ist Teil einer großen Welt…
Birgit Heid trug daraufhin zwei Texte aus dem Manuskript über das Leben von Monika Mann vor. Das erste handelt in Florenz in den 1930er Jahren von der Beziehung mit ihrem künftigen Mann Jenő Lányi, dieser besaß eine ungarisch-jüdische Herkunft. Die Frage nach einer Verschiebung ihrer Lebensfrage wird aufgeworfen. Sie strebte eine Karriere als Pianistin an. Wohin im Jahr 1938? Die Nürnberger Rassengesetze wirkten sich inzwischen auf Italien aus. Auf der gemeinsamen Flucht vor den Nazis wurde das Schiff City of Benares im Atlantik 1940 von der U 48 torpediert und sank. Ihr Mann ertrank. Nur wenige konnten gerettet werden. Ein Fanal, ein Schlüsselerlebnis.
Im zweiten Kapitelauszug ist Capri der Schauplatz. In der wunderschönen und kulturell reichen Landschaft findet Monika Mann endlich Frieden und Glück mit ihrem Lebensgefährten Antonio. Nach dem Tod ihres dominierenden Vaters (1955) veröffentlichte sie eigene Bücher. Sie war bisher das bewusst ungeliebte, psychisch instabile Kind, auch benannt als das „dumpf-wunderliche Mönle”, vom Charakter introvertiert und unschlüssig, was sie in ihrem Leben erreichen will.
Die Schriftstellerin kam auf ihre Landauer Autorengruppe Wortschatz zu sprechen. Mittels einer spielerischen Vorgabe, man erhielt als Basis fünf Wörter, entstand eine Kurzgeschichte namens „Holprige Landstraße”, welche sie den Gästen vortrug. Der Protagonist Ismet ist auf einer spannenden Flucht in einem Auto im Kosovo. Die Zeit verschwimmt und mit ihr das Gefühl für das Ich.
Heid stellte gegen Ende Verse vor, die Rätsel beinhalten:
Schneeglöckchen / seine beharrlichen Lügen.
Wer denkt da nicht an den Klimawandel?
Heid erläuterte ihre Tätigkeit beim Literarischen Verein mit seinen 120 Mitgliedern. Als sie den Vorsitz 2016 von Klaus Haag übernahm, existierte ein akuter Reformstau. Inzwischen bietet der Verein drei Publikationen im Jahr an. Dazu kommen neben vielen Lesungen größere Poeten- und Literaturfeste; das renommierte Autorenseminar in Lambrecht findet seit den 1980er Jahren viel Anklang. Momentan gibt es Bestrebungen, den Vorstand um Beisitzer zu erweitern, damit im modernen Kontext Verantwortung und Aufgaben auf mehr Schultern verteilt werden können. Die umfangreiche Förderung von jungen Autor*innen ist derzeit noch mit einem Zeitproblem verbunden, so Birgit Heid nach einer Rückfrage, der Verein ist kein Selbstläufer, man muss um jedes Mitglied kämpfen.
Die Gäste konnten sich am Ende der Lesung, was selten genug vorkommt, aufgrund der plastischen und detailreichen Schilderungen ein gutes Bild über den Entwicklungsprozess und den aktuellen Schaffensstand einer Schriftstellerin machen.
Die ca. 30 Zuhörer*innen waren offenbar sehr zufrieden und verlangten vom Musiker-Duo eine Zugabe.
Am 5. Juni folgt die vierte LitMus-Ausgabe mit dem Gitarristen und Komponisten Claus Boesser-Ferrari und dem Autor David Emling.
Weiterführende Infos:
Kurzbiografie von Birgit Heid auf Rhein-Neckar-Wiki
Homepage von Kultur Rhein Neckar e. V.
Stadtbibliothek Ludwigshafen
Homepage von Birgit Heid
Artikel im Wochenblatt Ludwigshafen vom 18.5.24 | PH