
Am 6. September bei spätsommerlich warmem Wetter fand das traditionelle Poetenfest im kleinen Kultursaal des „Hohenfeldschen Hauses” nahe dem Dom statt. Dort wohnte in den 1780er-Jahren die berühmte Schriftstellerin Sophie von La Roche (1730–1807), worauf Ulrich Bunjes näher einging. Z. B. wandelte durch die Pforte hinter ihm einst mal Friedrich Schiller.
Das Fest stand unter dem Motto „Durchbruch“. Um 17 Uhr trafen sich Autoren und Gäste zu einer Plauderstunde und zum Kennenlernen, die anschließenden Lesungen gingen zwischen 18 und 21 Uhr über die Bühne, musikalisch umrahmt durch Mariusz Rzymkowski. Birgit Heid freute sich sehr über die Begegnungen und die Vielfalt der Texte und darauf, diese renovierten Räumlichkeiten, in denen früher das Antiquariat Marsilius beheimatet war, wieder zu besuchen. Sie erinnerte an die schönen, erfüllenden Anfänge des ersten Poetenfestes in Landau und Queichhambach.
Eine zusätzliche Attraktion bot sich durch die Poesie zum Pflücken an. Ursula Dörler aus Stelzenberg moderierte eloquent durch den Abend. Das Orga-Team hatte neben Werbung, Auf- und Abbau auch für kulinarische Überraschungen gesorgt. Dafür vielen Dank!
Der erste Vortragende war Knut Busch aus Kriegsfeld. Seine im unverwechselbaren Stil verfasste Geschichte handelt von einem Mann, dessen Lebensgefährtin Rebecca ihn aus Angst vor seiner Melancholie verließ – sie wollte da nicht hineingezogen werden. Dazu kommen berufliche Misserfolge, eine Schreibhemmung. Er steht am Ufer eines Sees und hat suizidale Gedanken – der Regen singt den monotonen Blues. Doch dann kommt Wind auf, Wellen kräuseln sich, er erschrickt und besinnt sich.
Ein gelungener Auftakt des Poetenfestes!
Ulrich Bunjes beleuchtete mit seiner Kurzprosa „Durchbruch“ skurrile Ereignisse in einem zehnstöckigen Hochhaus. Georg verliebte sich in die direkte Nachbarin Susanne, findet jedoch den Weg zu ihr wegen eines mittig platzierten Fahrstuhls zu umwegig. Da hat er die Idee, einfach einen Durchbruch in der Wand zu schaffen, wobei er sich Hilfe vom Drogenkonsumierenden Basil holt, der es brachial, aber wenig erfolgreich mit einem großen Hammer versucht, was unmittelbar zu heftigen Beschwerden der Nachbarschaft führt. Ein Text mit witzigen Dialogen und schöner Pointe am Schluss.
Ulrich Bunjes ist Leiter der Autorengruppe Spira (Sektion Speyer).
Mit dem eindringlichen Gedicht „Lebensverbot/Lebensgebot” war Josefin Wulf vertreten. Ein erstickender Teer legt sich über alles, verhindert das Leben. Reicht die Kraft? Doch schließlich findet es doch seinen Weg nach oben. Die letzte Verszeile jeder Strophe ist besonders hervorgehoben.
Freiheit so mühsam errungen
Eigener Lebenssinn
Endlich leben, auch wenn die Kraft schwindet
Blühen bis zum letzten Atemzug
Leben so geboten
Lothar Seidler aus Heidelberg trug ein längeres Gedicht aus dem Jahr 1994 vor, welches bisher nur als Audio auf CD verfügbar ist. Ein heißer Sommertag. Der Protagonist ist mit dem Fahrrad unterwegs. Da kollidiert er mit einer entgegenkommenden Fahrradgruppe, stürzt schwer und muss in die Notaufnahme eingeliefert werden. Nach mehreren Behandlungen samt mehr oder minder besorgten Besuchern stellt sich rasch Besserung ein. Ein Text mit skurril-witziger Note.
Dawn Dister, welche schottische Wurzeln besitzt, nahm sich in ihrer Geschichte Manno an, der keinen rechten Anschluss in einer Gartenwirtschaft mit überwiegend jungen Leuten findet. Wenig später werden alle von einem schweren Gewitter überrascht und müssen in das Lokal flüchten. Es herrscht Chaos, denn etliche sind nass geworden. Manno spielt nach Gehör Klavier und einige Sängerinnen gesellen sich sogar spontan hinzu, was für gute Laune sorgt und den Außenseiter endlich integriert.
Auffällig war die (einmalige) Verwendung der KI ChatGPT durch Ursula Dörler mit überraschend guten Ergebnis, um die Autorin darzustellen.
Margit Kraus aus Waldsee erzählte in ihrer Geschichte von der Teilnahme der deutschen Mannschaft an der Olympiade in Russland 1980. Die Kugelstoßerin Luise leidet unter dem stressigen Umfeld, gewinnt am Schluss dennoch den spannenden Wettbewerb. Die Goldmedaille widmet sie ihrem verstorbenen Bruder, welcher einst durch eine „verfehlte“ Stoßkugel starb. Margit Kraus bewunderte im Anschluss Luise als bemerkenswert philanthropischen Menschen.
Johann Seidl beschäftigte sich bild- und episodenhaft mit der Geschichte eines Miet-Wohnblocks und dessen Bewohner nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die Gegenwart. Zunächst das Überleben in den Trümmern, dann Wirtschaftswunder, das Auftreten von Halbstarken á la James Jean bis hin zur Studentenrevolution, Drogen, Etablierung neuer Lebensformen. Macht kaputt, was euch kaputt macht! Fort folgend eine bürgerliche Normalisierung mit vielen Fassaden (auch symbolisch), bis dann Kapitalisierung und Gentrifizierung die Einwohner vertreiben. Die Abrissbirne schafft schließlich Fakten, eine Trümmerlandschaft wie 1947. Die Zeitreise endet mit dem blinkenden Exit. Eine Siedlung für Wohlhabende wird entstehen. Brave new world.
Der fast 17-jährige Sohn bleibt länger von zu Hause weg als gewöhnlich: Renate Herrling schilderte die tiefsitzenden Ängste seiner Mutter in der Nacht und ihre Reflektionen zu ihrer eigenen Jugend. Bleibt sie cool? Aber nein, sie ist schlaflos und streift kontrollierend durch die Wohnung. Sie stellt sich das klärende Gespräch am Frühstückstisch vor, aber wird es so kommen? Der Sohn will offenbar ohne Rücksprache das Nest endgültig verlassen, wagt seinen Durchbruch.
Eva Sperber stellte zwei Texte vor. Im Ersten ging sie auf die weltberühmte japanische Künstlerin Yayoi Kusama ein, die mit Punkten (Polka Dots) wunderbare Kunstwerke schafft. Ulrich Bunjes hängte passende Bilder im Raum auf.
Im Zweiten handelte es sich um eine Medizinstudentin nach dem Examen, die sich im Flughafen befindet und über ihre zukünftige Arbeit in Brasilien nachdenkt und wie es dazu kam. Ist Rio wirklich so gefährlich, wie ihre Eltern glauben, werden da Menschen entführt und ihre Organe herausgeschnitten? Oder ist die erste große Reise doch nur ein prickelndes Abenteuer? Über den Wolken „verfliegen“ die Bedenken, es ergibt sich eine filmreife, stimmungsvolle Atmosphäre.
David sucht und findet nach der elterlichen Scheidung und dem schrecklichen Ende seiner ersten großen Liebe eine neue Bleibe. Ulrike Grömling arbeitet geschickt in ihrer Kurzprosa mit unheimlichen Begebenheiten. Die Altbauwohnung hat es in sich. Im Verlauf mehrerer Tage wölbt sich an einer Stelle der Fußboden, ein Riss bildet sich, dann ein Loch. Eine verdrängte Erinnerung kommt hervor an den Tod seines Bruders durch Ertrinken im zugefrorenen See. Davids panische Flucht. Seine unbewältigten Schuldgefühle. Ein Entschluss kristallisiert sich heraus – er muss mit seiner Mutter reden.
Katrin Kirchner aus Mutterstadt vermittelte in ihrem ersten Text Einblicke in eine verunsicherte Frau, in engen, krummen Gassen gefangen. Doch dann kam ER, in ihre Welt, zeigte ihr Weg und Richtung, wenn sie sich wieder mal verlaufen hat, jemand, den sie umarmen kann, wenn es ihr schlecht geht, den sie lieben kann.
Ihr zweiter Text beschrieb das empfindsame Innenleben eines Mädchens, dass sich mehr als Clown im „Jahrmarkt der Gefühle“ versteht, sich in Bücherwelten flüchtet. Doch die Rolle verschafft ihr mit der Zeit Stabilität und Erfolge: „Ich lächle, wenn ich traurig bin, verberge viel, verrate wenig von dem, was sich so in mir tut.“
Resumee: Das Poetenfest gefiel durch den guten Besuch, alle Stühle waren besetzt, anregende Gespräche wurden geführt. Man freute sich sehr, alte und neue Gesichter zu sehen. Das neu eingeführte Abend-Format sorgte für Kurzweiligkeit.