v.l.: Ursu­la Dör­ler, Sig­rid Stem­ler, Knut Busch, Rena­te Demuth u. Mari­an­ne Baun

Der Lite­ra­ri­sche Ver­ein stell­te in der Pfalz­bi­blio­thek Kai­sers­lau­tern sei­ne Jah­res­ga­be 2023, die Kurz­ge­schich­ten-Antho­lo­gie „Kind­heits­träu­me”, vor. Der Raum war gut gefüllt, als Clau­dia Ger­mann anmo­de­rier­te und auf die Eröff­nungs­ver­an­stal­tung von „Lau­tern liest” hin­wies. Bis zur Lan­gen Nacht der Kul­tur am 22. Juni gibt es mehr als 35 viel­fäl­ti­ge Lesun­gen im Stadt­ge­biet, eini­ge davon mit Betei­li­gung von Ver­eins­mit­glie­dern.

Bir­git Heid prä­sen­tier­te den Gäs­ten die Jah­res­ga­be von 1987 „Kind­hei­ten – Pfäl­zer Schrift­stel­ler erin­nern sich”, wor­in u.a. Kriegs­er­leb­nis­se, Ent­beh­run­gen und klei­ne Fluch­ten geschil­dert wer­den. Unter den Autor*innen waren Susan­ne Faschon, Wolf­gang Schwarz und Elmy Lang.
Die nächs­te Gene­ra­ti­on spiel­te teil­wei­se noch in Rui­nen, dann aber setz­te das Wirt­schafts­wun­der ein. Die Welt war jedoch nicht heil wie in mas­sen­taug­li­chen Fil­men aus dama­li­ger Zeit; so wir­ken die Schil­de­run­gen der Autor*innen plas­tisch, wirk­lich­keits­nah, durch­weg unro­man­tisch. Es exis­tier­ten neben den Schön­hei­ten der Kind­heit aller­or­ten die „schwar­ze Päd­ago­gik”, reli­giö­se Indok­tri­nie­rung, Ver­drän­gung von Nazi­ver­bre­chen, Kin­der­ar­beit auf dem Land und post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­run­gen – Wie Heid for­mu­lier­te, eine Zeit­rei­se in eine Welt, die es heu­te so nicht mehr gibt.

Peter Her­zer mode­rier­te und stell­te die Autorin­nen und Autoren vor.

Rena­te Demuth ging in ihrer Geschich­te „Vom Schrei­ben und ande­ren Träu­men” auf die Quel­len ihrer Begeis­te­rung fürs Lesen, Schrei­ben und Malen zurück. Die Musik füg­te sich naht­los hin­zu. Ihr Vater galt als in Russ­land ver­misst, was die Mut­ter trau­ma­ti­sier­te. Der Begriff Schat­ten­kind wird dies­be­züg­lich geprägt. Es tat ihrer „Kin­der­see­le gut, sich des Öfte­ren in Traum­wel­ten zu flüch­ten.” Sie war wie ein aus­ge­trock­ne­ter Schwamm und freu­te sich über Straf­ar­bei­ten wie „Dik­ta­te schrei­ben”, wäh­rend ande­re strick­ten. Demuth zitiert im Text die Autorin Mag­riet de Moor: „Das Schrei­ben ist die logi­sche Fol­ge süch­ti­gen Lesens”. Am liebs­ten woll­te sie nach Ent­de­ckung der Büche­rei trotz des Miefs dort biwa­kie­ren, was im spä­te­ren Leben fol­ge­rich­tig zu einer Anstel­lung an der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek führ­te.
Clau­dia Ger­mann äußer­te sich nach der Lesung sehr erfreut über ihre Lei­den­schaft.

Sig­rid Stem­ler aus Kri­cken­bach beschrieb ihre Erleb­nis­se inmit­ten einer klei­nen Grup­pe Mäd­chen, die zum Pfar­rer im Nach­bar­ort zur Beich­te gehen muss­ten. Unter­wegs gab es Aben­teu­er­li­ches wie Kaul­quap­pen fan­gen oder durch eine Röh­re krie­chen. Für den Pfar­rer dach­ten sie sich aus Über­mut aller­lei Ver­stö­ße gegen das 6. Gebot (Du sollst nicht ehe­bre­chen) aus, die ihn beson­ders inter­es­sier­ten, die sei­ne Phan­ta­sie zusätz­lich befeu­er­ten. Denn er wur­de auch über­grif­fig. Was für die Mäd­chen damals noch irgend­wie unan­ge­nehm, pein­lich zur Stun­de gehör­te, ist aus heu­ti­ger Sicht Miss­brauch, der durch­aus Ver­ur­tei­lun­gen und Kir­chen­aus­trit­te nach sich zieht. Meh­re­re Zuhö­rer zeig­ten sich betrof­fen.

Dr. Mari­an­ne Baun, für die Musik neben der Pati­en­ten­für­spra­che die der­zeit größ­te Pas­si­on dar­stellt, blick­te zurück auf den denk­wür­di­gen Tag ihrer ers­ten geplan­ten Kla­vier­stun­de. Doch, oh Schreck. Das Auto ihres Vaters samt den Noten wur­de just gestoh­len. Das mach­te sie tief­trau­rig. Zum Glück wur­de das geplün­der­te Auto wie­der gefun­den samt den acht­los, unbe­rühr­ten Noten und sie konn­te ihre Stun­de nach­ho­len. Eine wei­te­re Ent­täu­schung folg­te, da der Kin­der­traum von einer gefei­er­ten Pia­nis­tin müh­sa­mer und stei­ni­ger als gedacht war. Erst nach Mona­ten, Jah­ren stell­ten sich die ers­ten Erfol­ge ein. Eine schö­ne Über­lei­tung zu ihrem zwei­ten Musik­stück!

Kunt Busch aus Kriegs­feld war oft und gern bei sei­ner Oma Fri­da, einer ost­preu­ßi­schen Schrift­stel­le­rin, die ihn spä­ter zum Lesen und Schrei­ben beson­ders ani­mier­te. Auf den Wegen tum­mel­ten sich zur bestimm­ten Zeit aller­lei unge­heu­er­li­che Wesen: Nackt­schne­cken. Und vor denen hat­te er eine höl­li­sche Angst. Unbe­ab­sich­tigt trat der klei­ne Bub auf eine drauf, und schon muss­te er auf sei­ne Hose kot­zen. Fri­da fand sein Ver­hal­ten äußerst unmänn­lich, selbst für ein klei­nes Kind. So war er denn auch sei­nen Ängs­ten wehr­los aus­ge­setzt.
Busch konn­te beson­ders elo­quent Fri­das Dia­lekt wie­der­ge­ben.

Ursu­la Dör­lers Kurz­pro­sa „Johan­nis­beer­saft” han­delt in der Wirt­schafts­wun­der­zeit. Die Eltern sit­zen adrett am mit wei­ßem Lei­nen gedeck­ten Tisch. Das Kind auf dem erhöh­ten Sitz kippt unter stän­di­ger Ermah­nung das Glas Johan­nis­beer­saft bis an sei­ne Gren­ze. Das Kind erkennt fas­zi­niert, dass die Ober­flä­che unter Ein­fluss der Schwer­kraft immer waa­ge­recht bleibt. Der Vater ver­liert die Geduld, sei­ne Hand trifft unge­wollt das Glas – schon ist das Unglück gesche­hen. Die Mut­ter schreit ent­setzt auf wegen der voll­ge­spritz­ten Tisch­de­cke und dem frisch gebü­gel­ten Hemd des Vaters. Dör­ler schreibt am Ende:” Geblie­ben ist mir aber ein unver­wund­ba­res Gefühl der Sicher­heit geben­den Stär­ke, vor allem in heik­len, ris­kan­ten All­tags­si­tua­tio­nen, die ‚gleich zu kip­pen dro­hen’. Natür­lich nur in den Augen der ande­ren.”
Dör­ler setz­te Mimik und Gebär­den geschickt ein.

Dr. Mari­an­ne Baun spiel­te auf dem E‑Piano, eine Leih­ga­be von Klaus Demuth, hei­te­re Melo­dien, die gut mit den auf­kom­men­den Asso­zia­tio­nen har­mo­nier­ten.

Buch: Kind­heits­träu­me, Pfäl­zer Autorin­nen und Autoren erin­nern sich. Well­hö­fer Ver­lag 2023, ISBN 978–3‑95428–300‑2. 198 Sei­ten, 14€. Exem­pla­re kön­nen auch bei Bir­git Heid bestellt wer­den.