Am Sams­tag, den 7. Okto­ber fand in der Pfalz­bi­blio­thek Kai­sers­lau­tern eine  Lesung mit drei in der Pfalz bekann­ten Mund­art­dich­tern statt, die ver­schie­dens­te Tex­te – Lyrik, Kurz­pro­sa, Sket­che, Poet­ry Slam – auch in  Hoch­deutsch dar­bo­ten. Alle gewan­nen etli­che Prei­se bei renom­mier­ten Mund­art­wett­be­wer­ben.
Das Mot­to der Lesung war „Geschich­te­te Zei­ten”, auf dem Wer­be­pla­kat sah man  inein­an­der gesta­pel­te Uhren, doch wel­che Sym­bo­lik, wel­ches Kon­zept steck­te dahin­ter, das frag­te sich die stell­ver­tre­ten­de Biblio­theks­lei­te­rin Chris­ti­ne Faber, die in die Ver­an­stal­tung ein­führ­te. Immer­hin, die Vor­tra­gen­den sind gänz­lich unter­schied­lich im Cha­rak­ter. Das Publi­kum zeig­te sich gespannt, wie Spra­che in ver­schie­de­ne For­men gegos­sen wer­den kann.

Rena­te Demuth aus Kai­sers­lau­tern-Hohenecken stell­te fest, dass sie mit zuneh­men­dem Alter auto­bio­gra­fisch schreibt und sich mit den Lebens­um­stän­den ihrer Vor­fah­ren befasst. Wie kann man sich deren Welt mög­lichst plas­tisch vor­stel­len? In „Was bleibt” schil­der­te sie ein­drucks­voll die bäu­er­li­chen
Struk­tu­ren, in die ihr Groß­va­ter auf­wuchs. Da war Mus­kel­kraft gefragt, mit­un­ter Patrio­tis­mus. Doch der jun­ge Mann krän­kel­te, war schüch­tern, ein­zel­gän­ge­risch, pass­te nicht so recht ins Sys­tem. Er erhielt eine
Anstel­lung bei der Bahn, fand dann doch sei­nen Platz im Leben, auch sei­ne gro­ße Lie­be. Als Vater küm­mer­te er sich, damals vom Umfeld belä­chelt, um die vier Kin­der, sang zärt­lich Wie­gen­lie­der. Ein Held der stil­len Art, der über sich hin­aus wuchs, mit wirt­schaft­li­cher Not und Trau­ma­ti­sie­run­gen kämpf­te, der mehr ver­dien­te, so Demuth, als das Denk­mal im Her­zen, stell­ver­tre­tend für alle ande­ren.
Die Autorin misch­te sze­ni­sche Epi­so­den mit Mund­art in den hoch­deut­schen Text, dort, wo sie die emo­tio­na­le Ebe­ne her­vor­he­ben woll­te. „Ein Leben ohne stän­di­ges Schrei­ben scheint undenk­bar”, resü­mier­te Rena­te Demuth.

Man­fred Dechert aus Lud­wigs­ha­fen ist in Schma­len­berg auf­ge­wach­sen. Als  gebür­ti­ger Lau­te­rer pflegt er viel­fäl­ti­ge lite­ra­ri­sche Bezü­ge. Dechert ist, wie er auch sagt, ein ver­hin­der­ter Schauspieler.Anfangs ein Sketch: Auf dem Tisch steht ein Kas­set­ten­re­cor­der und spielt den ers­ten Text ab, Dechert bleibt gelas­sen in der ers­ten Rei­he sit­zen. Lau­nig und wenig spä­ter lamen­tie­rend sein ein­ge­üb­ter Vor­trag auf Band – eine Lesung ist doch anstren­gend, war­um Zeit ver­geu­den – ver­has­peln und ver­ges­sen kann man auch nicht – doch wenn die Tech­nik ver­sagt… Dechert plat­zier­te den Recor­der in eine Tüte, wor­auf sich die­ser beschwer­te, er wol­le wei­ter­ma­chen, wei­ter­ma­chen, wei­ter­ma­chen… Dechert drück­te den
Stop-Schal­ter, was die Hörer applau­die­ren ließ. Ja, so eben nicht.
Dechert lie­fer­te mimisch und sti­lis­tisch ein wei­tes Spek­trum, erwähn­te die in Haft sit­zen­de Frie­dens­no­bel­preis­trä­ge­rin Nar­ges Moham­ma­di, dann folg­te kon­se­quent ein beklem­men­des Gedicht:

Die­se Schrit­te wenn sie Dich holen
auf der ande­ren Sei­te der Welt
Die­ser Haß wenn sie Dich tren­nen
von Dei­ner Hälf­te der Welt
Die­ser lee­re Platz in der Welt
auf die­ser dunk­len Sei­te der Welt

Die­se Augen und die­ses Wis­sen
von dem Wahn­sinn einer „Revo­lu­ti­on”
Der Män­ner­macht und Wahn­sin­ni­gen
die hän­gen im Namen eines Got­tes
Eines Got­tes, den ich nicht ken­nen will
Die­ser Zwei­fel in Dei­nem Gesicht

Die Weis­heit der Wahn­sin­ni­gen, die Ohn­macht
derer auf den lee­ren Plät­zen der Welt
Derer in Zel­len in Fol­ter, auf ihrem letz­ten Weg
Konn­te Dich nicht ret­ten, nur fünf Minu­ten oder
acht oder zehn oder hun­dert Wor­te mit Dir gehen
Ist das alles, was Du sagst zu mir Dich­ter

Fra­gen die­se Augen und die­ses Wis­sen
um die Ohn­macht der Frau­en auf der dunk­len Sei­te der Welt
Ja, das ist alles und doch zu viel
Denn ich höre Schrit­te wenn sie mich holen
in ihre dunk­le Sei­te der Welt mein Platz bleibt leer
Wirst Du mir ein paar Wor­te geben erin­nern an mich
aus der ande­ren Sei­te der Welt

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Mit Blick auf die Fuß­ball­stadt ein Mono­log, wel­cher mit­tels sei­ner beson­de­ren Stil­art zwi­schen Komö­die und Tra­gik chan­giert: „Der Fuß­ball­mör­der”. Der Tor­wart erschießt den Stür­mer, um das 6:0 zu ver­hin­dern. Die Fans dre­hen durch, die Pres­se brüllt, ein Hexen­kes­sel, doch was – im Dia­log mit einem Pfar­rer – wenn ein­mal Gott per­sön­lich am Elf­me­ter gegen ihn antritt? Mit die­sen Psy­cho­sen mag er auf Hand­kes „Die Angst der Tor­warts vor dem Elf­me­ter” anspie­len.

Dechert enga­giert sich in Gesprächs­krei­sen um Men­schen mit psy­chi­schen Belas­tun­gen.

Edith Brünn­ler aus Lud­wigs­ha­fen, ehe­ma­li­ge IT-Fach­frau, nahm ziel­ge­nau mit viel Iro­nie und Witz den All­tag ins Visier. Eine Frau hält es in der Ehe nicht mehr aus, der Mann nur noch eine lee­re, empa­thie­be­frei­te Hül­se, ein Aus­bruch aus der Situa­ti­on gelingt aber wegen des zu lan­gen Abwar­tens
nicht. Auch die Ein­käu­fe sind so stra­pa­zi­ös, dass am Ende der Griff zum bei­gen Gür­tel unaus­weich­lich bleibt – um jeman­den zu erwür­gen. Der Vor­trag im Rap kam bei den Hörern beson­ders gut an.
In einer ande­ren Geschich­te beleuch­te­te sie zwei völ­lig unglei­che „Mädels”, die sich über Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten nicht eini­gen kön­nen, denn Freund­schaft ver­langt Kom­pro­mis­se! Immer fin­det Mar­gret die pas­sen­de Aus­re­de, mal die Arthro­se im Fal­le einer Pfäl­zer­wald-Wan­de­rung, dann der Cho­le­ste­rin-Spie­gel beim Restau­rant­be­such, auch der Vor­schlag, den Piz­za-Belag nach Geschmack zur Hälf­te zu tei­len, fin­det wegen des hohen Auf­wands im Ver­hält­nis zum Preis kei­ne Gna­de. „Die Leu­te gucken schon”, so ihre Beschwer­de, als die Part­ne­rin lang­sam aber sicher aus­ras­tet. Die Autorin setzt ihren Humor, unter­malt mit pas­sen­der Ges­tik, sub­til als Stil­mit­tel ein, um auf erns­te­re The­men im Back­ground hin­zu­wei­sen, da wirk­te  sie für die Gäs­te im gut gefüll­ten Raum auf sym­pa­thi­sche Wei­se haut­nah.

Die Freun­din einer Autorin, wel­che eher wider­wil­lig von der nahen „Markt­zeit zur Lese­zeit” trans­fe­riert wor­den war, konn­te ihre Begeis­te­rung nicht ver­heh­len.

Die *Lau­ter Autor*innen* bestehen aus ca. 10 Mit­glie­dern, die sich monat­lich tref­fen. Sie gehö­ren zur Sek­ti­on Kai­sers­lau­tern des Lite­ra­ri­schen Ver­eins der Pfalz mit Sitz in Land­au.

Bis 28. Okto­ber ist noch die sehens­wer­te Aus­stel­lung „Aus dem Schat­ten ins Licht” über star­ke Frau­en aus 1000 Jah­re pfäl­zi­scher Geschich­te zu sehen. Auf­ge­zeigt wer­den eben­so patri­ar­cha­li­sche Struk­tu­ren mit Unter­drü­ckung von Frau­en­rech­ten, die bis in die Gegen­wart hin­ein­wir­ken. Anfang nächs­ten Jah­res wan­dert sie nach Land­au.

Foto: Fabi­an Striehl (Pfalz­bi­blio­thek)