Das Motto der Lesung war „Geschichtete Zeiten”, auf dem Werbeplakat sah man ineinander gestapelte Uhren, doch welche Symbolik, welches Konzept steckte dahinter, das fragte sich die stellvertretende Bibliotheksleiterin Christine Faber, die in die Veranstaltung einführte. Immerhin, die Vortragenden sind gänzlich unterschiedlich im Charakter. Das Publikum zeigte sich gespannt, wie Sprache in verschiedene Formen gegossen werden kann.
Renate Demuth aus Kaiserslautern-Hohenecken stellte fest, dass sie mit zunehmendem Alter autobiografisch schreibt und sich mit den Lebensumständen ihrer Vorfahren befasst. Wie kann man sich deren Welt möglichst plastisch vorstellen? In „Was bleibt” schilderte sie eindrucksvoll die bäuerlichen
Strukturen, in die ihr Großvater aufwuchs. Da war Muskelkraft gefragt, mitunter Patriotismus. Doch der junge Mann kränkelte, war schüchtern, einzelgängerisch, passte nicht so recht ins System. Er erhielt eine
Anstellung bei der Bahn, fand dann doch seinen Platz im Leben, auch seine große Liebe. Als Vater kümmerte er sich, damals vom Umfeld belächelt, um die vier Kinder, sang zärtlich Wiegenlieder. Ein Held der stillen Art, der über sich hinaus wuchs, mit wirtschaftlicher Not und Traumatisierungen kämpfte, der mehr verdiente, so Demuth, als das Denkmal im Herzen, stellvertretend für alle anderen.
Die Autorin mischte szenische Episoden mit Mundart in den hochdeutschen Text, dort, wo sie die emotionale Ebene hervorheben wollte. „Ein Leben ohne ständiges Schreiben scheint undenkbar”, resümierte Renate Demuth.
Manfred Dechert aus Ludwigshafen ist in Schmalenberg aufgewachsen. Als gebürtiger Lauterer pflegt er vielfältige literarische Bezüge. Dechert ist, wie er auch sagt, ein verhinderter Schauspieler.Anfangs ein Sketch: Auf dem Tisch steht ein Kassettenrecorder und spielt den ersten Text ab, Dechert bleibt gelassen in der ersten Reihe sitzen. Launig und wenig später lamentierend sein eingeübter Vortrag auf Band – eine Lesung ist doch anstrengend, warum Zeit vergeuden – verhaspeln und vergessen kann man auch nicht – doch wenn die Technik versagt… Dechert platzierte den Recorder in eine Tüte, worauf sich dieser beschwerte, er wolle weitermachen, weitermachen, weitermachen… Dechert drückte den
Stop-Schalter, was die Hörer applaudieren ließ. Ja, so eben nicht.
Dechert lieferte mimisch und stilistisch ein weites Spektrum, erwähnte die in Haft sitzende Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, dann folgte konsequent ein beklemmendes Gedicht:
Diese Schritte wenn sie Dich holen
auf der anderen Seite der Welt
Dieser Haß wenn sie Dich trennen
von Deiner Hälfte der Welt
Dieser leere Platz in der Welt
auf dieser dunklen Seite der Welt
Diese Augen und dieses Wissen
von dem Wahnsinn einer „Revolution”
Der Männermacht und Wahnsinnigen
die hängen im Namen eines Gottes
Eines Gottes, den ich nicht kennen will
Dieser Zweifel in Deinem Gesicht
Die Weisheit der Wahnsinnigen, die Ohnmacht
derer auf den leeren Plätzen der Welt
Derer in Zellen in Folter, auf ihrem letzten Weg
Konnte Dich nicht retten, nur fünf Minuten oder
acht oder zehn oder hundert Worte mit Dir gehen
Ist das alles, was Du sagst zu mir Dichter
Fragen diese Augen und dieses Wissen
um die Ohnmacht der Frauen auf der dunklen Seite der Welt
Ja, das ist alles und doch zu viel
Denn ich höre Schritte wenn sie mich holen
in ihre dunkle Seite der Welt mein Platz bleibt leer
Wirst Du mir ein paar Worte geben erinnern an mich
aus der anderen Seite der Welt
.….….….….….….….….….….….….….….….…
Mit Blick auf die Fußballstadt ein Monolog, welcher mittels seiner besonderen Stilart zwischen Komödie und Tragik changiert: „Der Fußballmörder”. Der Torwart erschießt den Stürmer, um das 6:0 zu verhindern. Die Fans drehen durch, die Presse brüllt, ein Hexenkessel, doch was – im Dialog mit einem Pfarrer – wenn einmal Gott persönlich am Elfmeter gegen ihn antritt? Mit diesen Psychosen mag er auf Handkes „Die Angst der Torwarts vor dem Elfmeter” anspielen.
Dechert engagiert sich in Gesprächskreisen um Menschen mit psychischen Belastungen.
Edith Brünnler aus Ludwigshafen, ehemalige IT-Fachfrau, nahm zielgenau mit viel Ironie und Witz den Alltag ins Visier. Eine Frau hält es in der Ehe nicht mehr aus, der Mann nur noch eine leere, empathiebefreite Hülse, ein Ausbruch aus der Situation gelingt aber wegen des zu langen Abwartens
nicht. Auch die Einkäufe sind so strapaziös, dass am Ende der Griff zum beigen Gürtel unausweichlich bleibt – um jemanden zu erwürgen. Der Vortrag im Rap kam bei den Hörern besonders gut an.
In einer anderen Geschichte beleuchtete sie zwei völlig ungleiche „Mädels”, die sich über Freizeitaktivitäten nicht einigen können, denn Freundschaft verlangt Kompromisse! Immer findet Margret die passende Ausrede, mal die Arthrose im Falle einer Pfälzerwald-Wanderung, dann der Cholesterin-Spiegel beim Restaurantbesuch, auch der Vorschlag, den Pizza-Belag nach Geschmack zur Hälfte zu teilen, findet wegen des hohen Aufwands im Verhältnis zum Preis keine Gnade. „Die Leute gucken schon”, so ihre Beschwerde, als die Partnerin langsam aber sicher ausrastet. Die Autorin setzt ihren Humor, untermalt mit passender Gestik, subtil als Stilmittel ein, um auf ernstere Themen im Background hinzuweisen, da wirkte sie für die Gäste im gut gefüllten Raum auf sympathische Weise hautnah.
Die Freundin einer Autorin, welche eher widerwillig von der nahen „Marktzeit zur Lesezeit” transferiert worden war, konnte ihre Begeisterung nicht verhehlen.
Die *Lauter Autor*innen* bestehen aus ca. 10 Mitgliedern, die sich monatlich treffen. Sie gehören zur Sektion Kaiserslautern des Literarischen Vereins der Pfalz mit Sitz in Landau.
Bis 28. Oktober ist noch die sehenswerte Ausstellung „Aus dem Schatten ins Licht” über starke Frauen aus 1000 Jahre pfälzischer Geschichte zu sehen. Aufgezeigt werden ebenso patriarchalische Strukturen mit Unterdrückung von Frauenrechten, die bis in die Gegenwart hineinwirken. Anfang nächsten Jahres wandert sie nach Landau.
Foto: Fabian Striehl (Pfalzbibliothek)